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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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de Tena war erregt, sehr erregt von diesem Schauspiel, vor allem aber von dem Geheimnis, dem sie zufällig auf die Spur gekommen war. Vilabrú, diese Schlampe, wenn das rauskommt, wird es einen schönen Skandal geben. Und wie sie bei der Sache ist. Wie sie stöhnt, die alte Leisetreterin! Sie hat sehr schöne Beine, dafür, daß sie in meinem Alter ist, das muß ihr der Neid lassen. Und Quiques Hintern erst, Herr im Himmel. David. Apollo. Narziß.
    Quique, der treue Liebhaber, entrückte Senyora Elisenda in so ferne Weiten, daß sie, als alles vorüber war, noch eine Zeitlang nackt auf dem Sofa liegenblieb und gedankenverloren aus dem Fenster sah. Sie rauchte ruhig eine Zigarette, während Quique ins Schlafzimmer ging und dort wer weiß was trieb. Als sie ihren Zigarettenstummel im Aschenbecher ausgedrückt hatte, sah sie zum Schlafzimmer hinüber und rief heiser: »Du mußt mir eine neue Bluse kaufen gehen. Quique? Hörst du mich? Ich muß mein Flugzeug erwischen!«
    Aus der Küche drang der triste, klebrige Geruch nach angebranntem Kaffee.

27
    »Du kannst die Flasche jetzt ins Wasser werfen, Marc.«
    Die siebzehn Kinder aus der zweiten Klasse, die sich damit vergnügt hatten, Bachkiesel zu sammeln, scharten sich für ein Foto um sie, bevor die Flaschenpost feierlich in den Fluß geworfen wurde, um dann mit ein wenig Glück drei Kilometer flußabwärts bei den Zweitkläßlern der Schule von Ribera de Montardit anzukommen, eine der vielen Aktivitäten rund um den Themenschwerpunkt »Der Fluß und seine Umgebung«. Der strahlende Wintertag verlockte dazu, nicht in die Dunkelkammer zu gehen und die Bilder zu entwickeln, und auch, nicht ins Klassenzimmer zurückzukehren, wo sie unweigerlich ins Grübeln geraten würde. Unablässig kreisten ihre Gedanken um die Überlegung, ob sie einen Privatdetektiv anheuern sollte, um herauszufinden, wer die Frau war, die ihr die Ruhe raubte, jetzt, wo sie Frau Doktor Cuadrat angeheuert hatte, um herauszufinden, was das für eine Geschwulst war, die ihr manchmal stechende Schmerzen verursachte. Zwei Untersuchungen waren im Gange. Würde sie jemals wieder glücklich sein können?
    »Du kannst die Flasche ins Wasser werfen. Zähl.«
    Marc Bringué, der nicht etwa erwählt worden war, weil er der Beste, sondern weil er die Nummer zwölf war, Urenkel von Joan Bringué von den Feliçós aus Torena, Nummer drei auf Valentí Targas schwarzer Liste, die Senyora Elisendas heimliche schwarze Liste war, küßte die Plastikflasche (wie es ihm Pep Pujol geraten hatte) und warf sie mitten in die Noguera. Erleichtert sahen alle zu, wie die Flasche die Wirbel am Ufer umschiffte, die Mitte der Strömung erreichte und sich munter auf den Weg flußabwärts machte, als hätte sie es eilig, zum Meer zu gelangen. Sie nahm denselben Wegwie Morrots regloser Körper, in dessen Brusttasche in einer Metallkapsel die Papiere verborgen waren, die den Militärs, in deren Hände er fiel, verrieten, daß der Maquis sich aus dem Tal von Sort und den Tälern von Àssua, Ferrera, Cardós und Àneu zurückzog, um sich bei Figueres zu sammeln. Dieser Hinweis zeigte den Militärs, daß etwas im Gange war, was später als Große Operation bekannt werden würde, und daß es woanders heiß hergehen würde.
    »Ja, hier ist Tina Bros. Die Flasche ist jetzt unterwegs. Rechne mal eine gute halbe Stunde.«
    »Wie werden sie sie aus dem Wasser fischen? Hej, Tina! Wie holen sie sie raus?«
    »Mit einem Schmetterlingsnetz«, sagte Pep Pujol, der alles wußte.
    Sie fischten ihn mit einem Eispickel heraus, dem mit dem langen Griff, denn er war nahe genug ans Ufer geschwemmt worden. Sie drehten ihn auf den Rücken, um zu sehen, ob sie ihn kannten, dann blickten sie einander an.
    »Den kenn ich nicht. Von hier ist der nicht.«
    »Mausetot ist der.«
    »Wir sollten die Guardia Civil rufen.«
    »Da kriegen wir bloß Scherereien. Am Ende wollen sie noch wissen …«
    »Wir können ihn doch nicht so hier rumliegen lassen.«
    »Warum nicht? Kannst du ihn vielleicht wieder lebendig machen?« Er stieß seinen Gefährten mit dem Ellbogen an und bedeutete ihm, ihm zum Karren zu folgen: »Auf, los jetzt, bevor uns noch jemand sieht.«
    Zweifelnd und ängstlich schob der Jüngere von beiden mit dem Eispickel Morrots toten Körper in die Strömung zurück, damit er seinem Weg folgen und von einer Patrouille der Guardia Civil von Ribera gefunden werden konnte, was sein eigentliches Ziel war. Der Junge kletterte auf den Karren, und die beiden

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