Die Stimmen des Flusses
das, daß sie nachdachte. Dachte sie nach, hieß das, daß sie nachdenken mußte. Wenn sie nachdenken mußte, hatte sie ein Problem. Wie gerne würde ich all ihre Probleme lösen, aber sie läßt mich ja nicht. Sie läßt mich nur die Schweinereien beseitigen, die ihr idiotischer Sohn hinterläßt. Weiter nichts. Ich würde mein Leben geben für … Ich habe mein Leben gegeben.
»Halt hier an, Jacinto.«
Mitten auf der Plaça de Catalunya. Das heißt, sie will nicht, daß ich weiß, wohin sie geht.
»Sei in einer Stunde wieder da. Nein, in zwei.«
Jetzt wird sie ein Taxi nehmen und zu Quique Esteve fahren, dem Hurensohn.
»Ja, Senyora.«
Quique treibt’s mit Männern. Und mit Frauen. Mit allem, was sich bewegt. Wissen Sie das, Senyora?
Senyora Elisenda stieg aus dem Wagen und schloß sachte die Tür. Sie wartete, bis Jacinto außer Sichtweite war, dann rief sie ein Taxi. Zu Quique Esteve, dem Hurensohn, schnell.
»Was für eine Überraschung.« Er ließ sie herein. »Ich habe dich nicht erwartet.«
»Ich hatte gerade in Barcelona zu tun, und da dachte ich …«
»Sehr schön. Aber was hättest du getan, wenn ich nicht dagewesen wäre?«
»Oder wenn du mit einer anderen zusammen wärst?«
Quique schloß leise die Tür und führte sie durch den Flur.
»Warum siehst du mich so an?«
Aus verschiedenen Gründen. Erstens, weil sie seit nunmehr dreizehn Jahren ein Verhältnis miteinander hatten. Und hatte Elisenda Quique anfangs auch nur benutzt, um ihrer Wut gegen die ganze Welt freien Lauf zu lassen, so hatte sie ihn doch nach und nach schätzen gelernt und war nur manchmal für ein paar Wochen auf Distanz zu ihm gegangen, wenn sie mal wieder zu hitzig gebeichtet hatte. Sie beichtete immer in einer anderen Kirche und stets bei Priestern, die sie nicht kannte, nicht, weil sie gegen die Sünde ankämpfte, sondern um ihre Schwäche im Zaum zu halten. Es kann nicht sein, daß ein so hübscher Junge wie Quique … Es kann nicht sein. Aber es war so. Zweitens, weil er über zwanzig Jahre jünger war als sie, was anfangs ganz unterhaltsam gewesen war, nun aber immer schwerer zu ertragen war, weil ich alt werde under immer noch ein Mann mit einem berückenden Lächeln und ohne ein einziges weißes Haar ist. Drittens, weil sie bis vor kurzem, bis Mertxe ihr Haus betreten hatte, in Wolkenkuckucksheim gelebt und gedacht hatte, die Abfindung, die sie ihm zahlte, schließe jede Untreue aus; außerdem war er stets zur Stelle gewesen, wenn sie ihn brauchte. Viertens, weil sie sich jetzt, da sie beschlossen hatte, es sei an der Zeit, ihren Sohn zu verheiraten, plötzlich wie eine Großmutter fühlte und äußerst lächerlich vorkam und weil sie verstand, daß sie Grund hatte, um Quiques willen eifersüchtig zu sein. Fünftens, weil alles so kompliziert war: Warum sollte sie wegen Quique eifersüchtig sein, wenn sie ihn nicht liebte und wußte, daß auch er sie nicht liebte, sondern ihr vielmehr gehorchte, was dadurch bestätigt wurde, daß sie einander in den letzten dreizehn Jahren nur äußerst selten ihre Zuneigung bewiesen hatten. Sechstens, weil er sich laut Vertrag, auch wenn sie sich nicht liebten, ausschließlich ihr zu widmen hatte. Und siebtens, weil sie davon überzeugt war, daß eine genauere Inspektion der Wohnung ein paar Geliebte zutage bringen würde, und sie nicht bereit war, diese Demütigung hinzunehmen.
»Willst du vielleicht die Wohnung durchsuchen? Willst du sehen, wie viele Frauen ich hier versteckt habe?«
»Ja.«
»Nur zu.«
In einem Tonfall, der seinen Unmut verbergen sollte und von dem sie nicht wußte, ob er nur gespielt war, sagte Quique: »Ich hätte nie gedacht, daß du so wenig Vertrauen zu mir hast.« Er breitete einladend die Arme aus und sagte: »Fühl dich wie zu Hause.«
Senyora Elisenda Vilabrú Ramis, die am Abend mit Minister Fontana zu Abend essen würde, um ihn daran zu erinnern, daß sie eine sofortige Antwort von Monsignore Escrivá de Balaguer hinsichtlich des Prozesses erwartete; die ungerührt den höflichen Schmeicheleien des Ministers lauschen und ihn mahnen würde, er solle Monsignore Escrivá insGedächtnis rufen, daß ihr Onkel, Hochwürden August Vilabrú, noch am Leben sei (obwohl er schon recht klapprig war, der Arme) und ihr erst vor ein paar Tagen wieder einmal von der heimischen Prälatur Monsignore Escrivás erzählt habe, an der Hochwürden August Vilabrú wesentlichen Anteil gehabt hatte, da Papst Paul dem Monsignore eher mißtraute; die es fertigbringen
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