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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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beschweren: »Ich dachte, weil du so braungebrannt bist … Nein?« Mamà sagte nichts, und Mertxe Centelles-Anglesola Erill mußte klarstellen »Nein, das kommt vom Strand, im Dezember war ich auf den Kanaren, und ich werde sofort braun.« »Was für ein Glück.« Mamà versuchte, die Lage zu retten. Die kurzzeitige Krise war überwunden, als er ihr sagte, zwischen den schwarzen Pisten könne er ja immer mal wieder runterkommen zum Idiotenhügel und ihr helfen, mit den Skiern zurechtzukommen.
    »Eigentlich kann Quique ihr das beibringen, das ist seine Aufgabe.«
    »Kommt nicht in Frage.«
    Dieses brüske »Kommt nicht in Frage« Marcels machte Senyora Elisenda zwei Dinge klar. Erstens: Wenn Marcel Quique nicht vertraut, obwohl die beiden doch den ganzen Tag miteinander Ski laufen und über Frauen reden (nehme ich an), hat er wohl seine Gründe dafür. Und wenn Quiquenicht einmal das Vertrauen eines Nichtsnutzes wie Marcel verdient, will ich das so schnell wie möglich geklärt haben. Und zweitens: Marcel gefiel Mertxe, und so hatte sie, wie immer, richtig entschieden, als sie Mertxe Centelles-Anglesola Erill ausgesucht hatte, von den Centelles-Anglesolas, die seitens der Anglesolas mit den Cardona-Anglesolas verwandt waren, und von den Erills de Sentmenat, denn Mertxes Mutter ist die Tochter von Eduardo Erill de Sentmenat, dem Besitzer von Maderas Africanas und Aufsichtsratsvorsitzenden der Banca de Ponent. Schön und gut, dachte Marcel, aber diese Lippen und diese Augen – und welche Eleganz!
    »Warum nicht Quique?« hakte Mamà nach.
    »Ist er nicht krankgeschrieben?«
    »Ja, aber das wird ja nicht ewig dauern.«
    Ein paar wenige Worte und Gesten hatten Senyora Elisenda genügt, um festzustellen, daß ihr Sohn bis über beide Ohren verliebt war. Marcel hingegen versuchte, seine Begeisterung für Mertxe vor Mamà zu verbergen, und Senyora Elisenda verstand das und wollte nicht grausam zu ihm sein. Sie gab sich geistesabwesend, ging zwei-, dreimal hinaus, erwähnte, Mertxe sei zweiundzwanzig und in Paris so gut wie zu Hause, und sagte – so daß es aussah, als käme der Vorschlag von Marcel –, sie könnten doch alle zusammen ausgehen, ich weiß nicht, ins Zentrum, auf die Rambles, ja? Marcel sagte, er sei schon seit einer Ewigkeit nicht mehr auf den Rambles gewesen, und dachte, was Mertxe jetzt wohl von mir denkt? Er war verzweifelt, weil er sich zum ersten Mal im Leben vor einer anderen Frau als Mamà klein fühlte, weil er hilflos war und ihr etwas beweisen wollte, als wäre sie Mamà. Gegen alle Regeln schlug ihnen Elisenda beiläufig vor, sie könnten doch ein paar Tage nach Paris fahren, und wenn sie dann zurückkämen, könnte er im Büro anfangen. Marcel war dermaßen begeistert, daß er gar nicht auf die Idee kam, an Ramona zu denken, die Schriftstellerin hatte werden wollen. Anstatt sich zu beschweren, daß seine Mutter über ihn verfügte, dachte er, stell dir vor, ein paar Tagemit Mertxe in Paris. Er war nicht länger auf der Hut, er war wehrlos. Dieses Mal hatte sich Marcel Vilabrú Vilabrú in die Richtige verliebt.
    Als das Paar sich auf den Weg zu den Rambles gemacht hatte – oder wohin auch immer ihre Begeisterung sie führen mochte –, rief Senyora Elisenda den Industrieminister an, um eine Frage zu klären, bei der nur er persönlich helfen konnte. Es ging um den Import dieser verflixten Maschine zur Herstellung von Bällen, ich habe keine Lust, sie zum zehnfachen Preis fertig zu kaufen. Lieber möchte ich sie anderen Herstellern verkaufen. Ich möchte Bälle herstellen, Enrique. Ich warte auf Nachrichten, verstanden? Ah ja, heute esse ich in Madrid zu Abend. Mit wem? Mit Fontana. Dann hängte sie auf, während der Minister noch ins Telefon lächelte, in Erinnerung an jenen zauberhaften Nachmittag mit Señora Vilabrú und ihr Parfüm, ich weiß nicht, was es war, aber es hat mich verhext, und Fontana beneidete, den alten Halunken. Elisenda informierte Gasull über ihre Verhandlungen, und da sie noch ein paar Stunden Zeit hatte, ließ sie Jacinto ausrichten, er solle den Wagen vorfahren. Sie nahm die Kette vom Hals, küßte sie und legte sie in das Elfenbeinkästchen. Einen Augenblick lang vermißte sie Bibiana, aber dann verdrängte sie sie aus ihren Gedanken, denn die Lebenden können nicht immer an all ihre Toten denken. Sehr gut, Jacinto, so gefällt es mir.
    Aber auf dem Weg ins Stadtzentrum sprach sie zu seinem Nacken kein Wort. Nichts. Keinen Ton. Wenn sie keine Befehle gab, bedeutete

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