Die Strafe des Seth
glaube nicht, dass Senenmut alleine gehandelt hat. Mir fällt kein Motiv ein für seine Tat. Es muss noch einen Menschen geben, dem ich im Wege bin.«
»Mir würde da jemand einfallen«, murmelte die Priesterin leise vor sich hin.
»Ich weiß, dass du auf Sethherchepeschef nicht gut zu sprechen bist, doch es gibt keinerlei Beweise, dass er hinter all dem steckt. Im vergangenen Jahr wurde er auf Schritt und Tritt überwacht, zudem stand er unter Arrest. Und auch Chaemwaset, der, wie dir bekannt sein dürfte, der Fürst des thebanischen Gaus ist, hat mir nie zu verstehen gegeben, dass sich mein Onkel wider die Maat verhält. Sethi mag sich zwar verändert haben, aber das ist auch schon alles.«
»Ja, Majestät, Sethi
hat
sich verändert«, hielt Meritusir dagegen. »Die unerwiderte Liebe zu mir hat aus ihm einen anderen Menschen gemacht. Ich will nicht behaupten, sein früheres Wesen zu kennen, aber Amunhotep bestätigt ebenfalls, dass er nicht mehr der freundliche und offene Prinz ist, der er war, bevor er mich zur Gemahlin wollte. Ich muss immer wieder an seine Worte denken, dass er alles dafür tun würde, um mich zu bekommen. In diesen Worten lag eine solche Entschlossenheit, dass ich seitdem sein plötzliches Interesse für Regierungsangelegenheiten aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachte.«
»Und aus welchem?«
»Ich denke, sein Interesse ist echt, doch seine Beweggründe sind nur vorgetäuscht. Von Amunhotep weiß ich, dass Sethherchepeschef der Meinung war, sich endlich um wichtigere Dinge als sein unbeschwertes Leben als verwöhnter Pharaonenspross zu kümmern. Löblich, Majestät, doch kam diese Einsicht zu einem denkbar ungünstigen oder besser verdächtigen Zeitpunkt, nämlich nachdem Amunhotep und ich geheiratet hatten und ich somit unerreichbar für ihn war.«
Ramses schwieg. Diese Überlegung hatte er noch nicht angestellt.
»Bedenke vor allem eines, Majestät«, fuhr Meritusir unbeirrt fort, »Senenmut war sein Schwiegervater.« Sie musste unvermittelt grinsen. »Obwohl er zwei Jahre jünger war als Sethi.«
»Soll ich etwa Sethi wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen verurteilen?«, fragte Ramses aufgebracht.
»Nein, Majestät, obwohl mir bekannt ist, dass auch die Familie eines Verbrechers verurteilt werden kann, aber das steht hier nicht zur Debatte. Mir stellt sich aber die Frage, warum ausgerechnet der Vierte Prophet des Amun-Re zwei Mordversuche gegen dich unternommen haben soll? Was hätte er für Vorteile gehabt, wenn du zu den Göttern gehst? Nach dir käme Hori auf den Horusthron. Ich glaube kaum, dass dein Sohn Amunhoteps Vater absetzen würde, nur um Senenmut zum Hohepriester zu ernennen. Warum also lag dem Vierten Propheten etwas an deinem Tod?« Fragend glitt ihr Blick von Ramses zu Amunhotep, doch beide Männer zuckten ratlos mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht«, gestand Ramses ein.
Meritusir schmunzelte. »Ich ebenfalls nicht«, bestätigte sie und wurde wieder ernst. »Es sei denn, es hat ihm jemand etwas versprochen, etwas, das nur der Herr der Beiden Länder ihm geben kann. Und was sollte sich Senenmut wohl wünschen? Er war mit Mitte dreißig bereits der vierte Diener des Amun-Re, seine Tochter ist mit einem Prinzen vermählt, Senenmut ist angesehen und reich. Was also wollte er? Wonach hat er gestrebt? – Nach noch mehr Reichtum? Nach einem noch höheren Amt als jenem, das er bereits bekleidete?
Genau das muss es gewesen sein, Majestät! Es kann sich nur um das Amt des Hohepriesters handeln, das er sich gewünscht hat, aber das kann ihm nur der Pharao übertragen. Prinz Hori würde es mit Sicherheit nicht tun. Wer also dann? – Die Antwort lautet: ein anderer Pharao! Und ich vermute, dass es jemand ist, der nicht in der Thronfolge berücksichtigt ist, der aber den Thron der Beiden Länder besteigen will. Wie du selbst sagtest: Es muss noch einen weiteren Menschen geben, der dich töten will. Und wer fällt mir da nur ein? – Sethherchepeschef!
Er ist der Einzige, der einen triftigen Grund hätte, sich die Doppelkrone aufs Haupt setzen zu wollen, und dieser triftige Grund bin ich. Sethi kann mich nur bekommen, wenn er Pharao wird, denn dann hält er die absolute Macht in Händen. Was er sagt, ist Gesetz. Niemand darf sich dem widersetzen. Nur als Herr der Beiden Länder wird es ihm gelingen, mich an seine Seite zu befehlen.«
»Das wäre gegen die Maat!«, protestierte Ramses entsetzt. »So etwas würde kein Pharao tun! Eine verheiratete Frau darf
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