Die Strafe des Seth
der Götter, zu dienen.«
»Hast du ihn nach den Gründen gefragt?«
»Ja, er gab mir keine eindeutige Antwort. Ich verlangte nach einem Empfehlungsschreiben meines thebanischen Amtskollegen, doch er sagte, er hätte keins.«
»Seltsam«, murmelte Nacht und strich sich über seinen kahl rasierten Schädel.
»Das stimmt. Ich glaube eher, dass er es mir nicht zeigen wollte. Es wird sicher kein gutes Licht auf ihn werfen. Seinen einsilbigen Antworten nach zu urteilen, scheint er unter dem Hohepriester und dessen Bruder nicht sehr glücklich gewesen zu sein.«
»Was veranlasst dich zu dieser Vermutung?« Nacht war hellhörig geworden. Vielleicht war dieser Bewerber gar kein so schlechter Mann.
»Als ich ihn fragte, wie Nesamun den Tod seiner Gemahlin verkraftet habe, erzählte er mir, dass er das nicht wüsste. Es schien ihm völlig einerlei zu sein. Ich konnte mich nicht des Eindrucks erwehren, dass es ihn Beherrschung gekostet hat, keine abfällige Bemerkung über Nesamun zu machen. Meiner Meinung nach scheint er ihm nicht sehr gewogen zu sein.«
Nachdenklich betrachtete Nacht die Schriftrolle, die ausgerollt vor ihm auf dem Tisch lag und die Auflistung der jungen Schreiber enthielt. »Welcher von ihnen ist es?«
»Dieser hier.« Maj trat an Nachts Arbeitstisch und tippte mit dem Zeigefinger auf einen der Namen.
»Nebnefer.« Der Zweite Prophet des Großen Gottes Re sah wieder hoch. »Ich will ihn sehen!«
»Aber, Herr«, erwiderte Maj entsetzt, »ich glaube nicht, dass dieser Mann für uns geeignet ist.«
»Das solltest du mir überlassen«, gebot Nacht kühl und sah den Vorsteher der Tempelschreiber gebieterisch an. »Nebnefer scheint erkannt zu haben, wer der wahre König der Götter ist. Er hat sich vom selbst ernannten obersten Gott zum einzig wahren gewandt. Also dürfte er für uns nicht ungeeignet sein. Allein sein Glaube zählt. Da ist es mir völlig einerlei, ob er Nesamun leiden mochte oder nicht. Er ist, wie du sagtest, ein erfahrener Schreiber. Schicke ihn morgen zur fünften Stunde des Tages zu mir, damit ich mit ihm reden kann!«
Maj verneigte sich, denn dem Befehl des Zweiten Propheten hatte er zu gehorchen.
Am darauffolgenden Tag erschien ein ungefähr siebenundzwanzigjähriger mittelgroßer Mann, der sich vor Nacht verneigte. Sein Kopf war kahl geschoren, und um den Hals trug er ein Amulett in Form eines heiligen Skarabäus. Gehorsam blieb er mit gesenktem Blick vor dem zweitmächtigsten Mann im Re-Tempel stehen und wartete, bis dieser ihn ansprach.
»Du hast im Tempel des Amun von Theben gedient?«
»Ja, Hoher Herr.«
»Wie lange?«
»Sechzehn Jahre, fünf davon als Schreiber.«
»Und warum hast du den Tempel nach einer solch langen Zeit verlassen?«
»Weil ich ...«
»Weil du was?« Nacht ließ Nebnefer nicht aus den Augen, der verlegen von einem Bein auf das andere trat. »Weil du lieber Re dienen willst als Amun, dem König der Götter?«
Der Schreiber nickte. »Ja, Hoher Herr.«
»Wirklich?« Nacht ließ nicht locker. »Oder ist es vielleicht eher, weil du mit der hohen Priesterschaft des thebanischen Heiligtums nicht ausgekommen bist?«
Ohne eine Reaktion starrte Nebnefer stur vor sich auf den gefliesten Boden.
»Ist es so?« Eindringlich musterte Nacht den jungen Mann. »Warst du nicht immer derselben Meinung wie sie? Du kannst dich mir ruhig anvertrauen, Nebnefer, denn wenn ich es wissen will, erfahre ich es sowieso.«
Nebnefer hob den Blick. Seine Augen funkelten Nacht grimmig an. »Da bin ich mir sicher, Hoher Herr. Wenn du den Vorsteher der Tempelschreiber oder womöglich Nesamun und Amenophis nach mir befragst, wirst du garantiert alles erfahren, was du über mich wissen musst – doch ob auch alles stimmt, wage ich zu bezweifeln.«
Fragend zog Nacht die Augenbrauen in die Höhe. »Willst du andeuten, dass sie lügen?«
Der Kehle des Mannes entrang sich ein knurrendes Geräusch. »Das habe ich nicht gesagt, aber wenn du es genau wissen willst, dann sollst du es eben erfahren.« Trotzig starrte Nebnefer dem Zweiten Propheten ins Gesicht. »Ich habe Amun-Re immer treu und ehrlich gedient. Stets stand ich treu zum Herrn der Beiden Länder. Nesamun aber, sein Bruder Amenophis und all die anderen krauchen ...« Er hielt abrupt inne und senkte wütend den Blick auf seine Füße.
Nacht setzte indes eine entrüstete Miene auf. »Was wolltest du eben sagen? Dass sie alle wem in den Hintern krauchen? – Dem Pharao?« Da Nebnefer keine Anstalten machte, eine Erwiderung
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