Die Strafe des Seth
wie den Propheten Nacht zu einer solch gotteslästerlichen Tat anstiften konnte. War es der gestürzte Hohepriester Ramose?
»Nein«, murmelte Nubchesbed vor sich hin.
Erstaunt sah ihre Dienerin sie an, sagte aber kein Wort.
Nein, Ramose ist auf meinen Sohn zwar sicher nicht sehr gut zu sprechen, fuhr sie in Gedanken fort. Er hat aber keinerlei Vorteile davon, wenn Ramses vom Doppelthron gestürzt werden würde. Es muss jemand sein, der den Platz meines Sohnes einnehmen will und kann.
Nachdenklich griff sie erneut nach den Stäbchen und machte ihren nächsten Wurf. Fünf zeigten sie dieses Mal an.
»O Majestät, das Glück ist dir heute nicht hold«, merkte ihre Dienerin an, doch Nubchesbed registrierte es kaum.
Sie setzte ihren Spielstein weiter, während sich ihre Gedanken mit dem Problem auseinandersetzten, wer ihrem geliebten Sohn Böses wollte.
Was wäre, wenn sich Ramses im Bruder meines zu Osiris gegangenen Gemahls getäuscht haben sollte?
Die Witwe von Ramses VI. fröstelte bei diesem Gedanken.
Seitdem ihr Sohn Sethherchepeschef in Abydos ohne jegliche Begründung unter Arrest gestellt hatte, erhärtete sich ihr Misstrauen gegen den Bruder ihres verstorbenen Mannes immer mehr.
Es war von niemandem unbemerkt geblieben, dass sich Sethi in den letzten Jahren verändert hatte. Begonnen hatte es, nachdem er ein Auge auf diese fremdländische Dienerin geworfen hatte, die inzwischen die Gemahlin des Osiris-Hohepriesters war. Nubchesbed war zur damaligen Zeit nicht sehr gut auf diese Frau zu sprechen gewesen. Inzwischen hatte sich aber ihr Misstrauen gegen sie gelegt. Meritusir hatte sich als getreue Dienerin ihres Sohnes erwiesen. Sethi hingegen hatte sich komplett gewandelt.
Nachdem die Meritusir nicht mehr für ihn zu haben gewesen war, hatte er sich für Dinge zu interessieren begonnen, die ihn bis dahin nicht berührt hatten. Nubchesbed musste ehrlich zugeben, dass sie zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Anstoß an seinem Sinneswandel genommen hatte, im Gegenteil. Auch sie hatte es begrüßt, dass er endlich seinem Leben als verwöhnter Prinz entsagen wollte, um sich im Dienste Pharaos um die Belange der Beiden Länder zu sorgen. Inzwischen betrachtete sie das Ganze mit anderen Augen.
Sethi hatte sich mit einer Frau vermählt, die überhaupt nicht zu der Art von Frauen gehörte, zu der er sich bisher hingezogen gefühlt hatte. Zudem hatte er sie kaum beachtet, wenn sie den Gerüchten trauen konnte, die die Runde im Palastbezirk gemacht hatten. Zu allem Überfluss hatte der Vater von Sethis Gemahlin zwei Anschläge auf Ramses’ Leben verübt. – Das war für Nubchesbed der Zufälle zu viel.
Deshalb hatte sie auch mit einigem Unverständnis auf die Entscheidung ihres Sohnes reagiert, als dieser Sethherchepeschef wieder auf freien Fuß gesetzt und ihm erneut sein Vertrauen ausgesprochen hatte.
»Majestät ...?«
Nubchesbed schreckte aus ihren Gedanken und blickte in das fragende Gesicht ihrer Leibdienerin. »Lass uns das Spiel für heute beenden«, sagte sie. »Und schicke einen Diener zu Wesir Nehi. Ich will ihn umgehend in meinen Gemächern sehen.«
Mit einer Verneigung erhob sich die junge Frau, packte das Senet-Spiel zusammen und zog sich leise zurück.
Eine Stunde später stand Nehi vor der alten Königin.
»Du hast mich rufen lassen, Majestät?«
»Ja, Tjati. Lass sofort Sethherchepeschef verhaften und verhören.«
Überrascht sah der Wesir, der respektvoll mit
Tjati
angeredet wurde, die Königsmutter an. »Warum sollte ich das tun?«
»Weil ich die Vermutung hege, dass er etwas mit der Verschwörung gegen meinen Sohn zu tun hat.«
Besorgt zog der Wesir die Stirn in Falten, denn er wagte nicht, den Prinzen ohne jeglichen Beweis festzunehmen und zu verhören. Zwar hatte er Sethherchepeschef in Ramses’ Auftrag überwachen lassen. Er hatte ihm aber nie etwas Verbotenes nachweisen können.
Entschieden schüttelte er den Kopf. »Es tut mir leid, Majestät, ich habe gegen den Prinzen nichts in Händen. Sollte er unschuldig sein und sich bei Seiner Majestät über mein Vorgehen beschweren, habe ich das zu verantworten.«
»Fürchtest du um dein Amt?«, zischte Nubchesbed aufgebracht und maß Nehi mit tadelndem Blick. »Du hast immer treu an der Seite meines zu Osiris gegangenen Gemahls und jetzt meines Sohns gestanden. Sie haben dir stets vertraut. Hast du das vergessen, Nehi?« Sie streckte ihm ihr kleines rundes Kinn entgegen.
Unbehaglich trat der Wesir von einem Fuß auf den anderen.
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