Die Strafe des Seth
»Nein, Majestät, doch ich diene der Maat und dem Pharao. Seine Majestät wird es sicher nicht gutheißen, wenn ich jemanden ohne den geringsten Beweis verhaften und verhören lasse.«
»Ist das Schreiben dieses syrischen Händlers nicht Beweis genug?«
»Ja, Majestät. Es genügt, um Nacht wegen Hochverrats den Prozess zu machen, aber nicht, um auch Sethherchepeschef zu belangen.«
»Sie wollen Ramses stürzen, sie planen seinen Tod!«
Verlegen zuckte Nehi mit den Schultern. »Es tut mir außerordentlich leid, aber ich kann nichts tun, will ich nicht gegen die göttliche Maat verstoßen. Mir sind die Hände gebunden. Doch ich werde mich sofort hinsetzen und eine Botschaft an Seine Majestät diktieren, in der ich ihm deine Befürchtungen mitteilen werde. – Auf welchen Vermutungen beruhen sie, Majestät?«
»Kannst du dir das nicht denken, Tjati?« Nubchesbed kochte innerlich vor Wut und Hilflosigkeit. »Ramses’ Tod würde bedeuten, dass ein neuer König den Thron besteigt ...«
»Und du glaubst, das wäre Sethherchepeschef?«, fiel Nehi der Königsmutter ins Wort und senkte entschuldigend den Blick.
»Möglich. Zumindest traue ich es weder Chaemwaset noch Prehi oder Merenptah zu.«
»Und was ist mit Hori?«, fragte der Wesir. »Immerhin ist er der von deinem Sohn als Nachfolger bestimmte nächste Pharao. Ihm stände bei Ramses’ Ableben der Doppelthron zu.«
Unschlüssig hob Nubchesbed die Schultern. »Hori ist noch ziemlich jung. Ich weiß nicht, ob er sich durchsetzen könnte, käme es zu einem Machtkampf um die beiden Kronen.« Müde blickte sie Nehi in die Augen. »Lass Sethherchepeschef verhören, Tjati. Tue es.«
»Nein, Majestät. Das kann ich nicht. Ich werde aber an Seine Majestät ein Schreiben verfassen ...«
»Das wird nicht nötig sein«, stieß Nubchesbed gereizt hervor. »
Ich
werde das erledigen! Ich werde Ramses meine Befürchtungen hinsichtlich seines Onkels darlegen und ihn bitten, umgehend zu handeln, damit sich Sethherchepeschef nicht des Throns bemächtigen kann!«
»Wie du wünschst, Majestät.« Ergeben neigte Nehi den Kopf. »Und wenn Pharao mir den Befehl erteilt, den Prinzen festzunehmen und zu verhören, werde ich es tun. Solange ich aber keinen handfesten Beweis oder zumindest einen Hinweis auf seine Mitschuld habe, kann ich nichts gegen ihn unternehmen.«
* * *
Zwei Tage nach der Unterredung mit der Königsmutter verkündete Nehi, dass die Verhandlung gegen den Zweiten Propheten des Großen Gottes Re mit dem Beginn des Schemu, der Jahreszeit der Ernte, beginnen sollte. Er selbst wollte als Vertreter des Pharaos den Vorsitz führen. Doch dann erreichte einen Tag vor Eröffnung der Verhandlung eine schreckliche Botschaft die Königsstadt. Es war eine Botschaft, die nicht nur Per-Ramses, sondern das gesamte Land lähmte und ins Chaos stürzte.
NEUN
Ramses marschierte mit den Regimentern, die unter dem Schutz der Götter Amun, Re und Seth standen, in Richtung Osten dem Feind entgegen.
Die Späher brachten fortan keine beruhigenden Nachrichten mehr. Sie berichteten, dass sich der Schiffsverband vom am Land marschierenden Tross gelöst und die Segel gesetzt hatte, um dem Delta zuzustreben. Ramses betete an jenem Tag zu Amun-Re, dass Amunhotep und Meritusir es rechtzeitig schaffen würden, den östlichen Zufahrtsweg zu erreichen.
Die Stimmung der Soldaten war an diesem Abend gedämpft. Nur vereinzelt klang ihr Lachen zum Zelt des Herrschers herüber, wo sich dieser mit Chaemwaset in einer Unterredung unter vier Augen befand.
»Sie haben Angst um ihre Familien, die sie in Kemi zurückgelassen haben«, meinte der Bruder des Königs und General der Amun-Division.
»Und ich kann es ihnen noch nicht einmal verübeln«, erwiderte Ramses besorgt. »Auch ich muss ständig an Isis und meine Kinder denken. Wenn die beiden Priester nicht rechtzeitig das Delta erreichen, werden diese Barbaren über das Untere Königreich herfallen. Dann ist auch Per-Ramses vor ihnen nicht mehr sicher.«
»Per-Ramses ist eine mächtige, befestigte Stadt«, erinnerte Chaemwaset seinen königlichen Halbbruder. »Es dürfte den Fremdländischen schwerfallen, sie zu erobern. In ihren Mauern sind genug Vorräte vorhanden, dass sie einer Belagerung über mehrere Monate problemlos standhalten kann. Und Wasser gibt es reichlich. Die Lage der Stadt ist ausgezeichnet. Jeder Belagerer wird sich die Zähne an ihr ausbeißen.« Er strich sich über sein stoppeliges Kinn.
Weitere Kostenlose Bücher