Die Strafe des Seth
»Unsere berühmten Vorfahren, die die fremdländischen Herrscher aus Kemi vertrieben haben, mussten das schon erfahren. Und da sind noch Merenptah und deine Getreuen, die deine Familie mit ihrem Leben beschützen werden.«
Ramses nickte. »Du hast recht. Trotzdem bin ich in Sorge. Es wäre das Ende der Maat, wenn das Delta von plündernden und brandschatzenden Horden überfallen wird, denn die Menschen entlang des Flusses sind ihnen schutzlos ausgeliefert.«
»Wir müssen auf unsere Götter vertrauen, Ramses, dass das nicht passiert.« Chaemwaset sah nachdenklich zu seinem Bruder, der seinen Blick erwiderte. »Zudem bedenke«, fügte er hinzu. »Sie wollen nicht nur ihre Gier nach Reichtum stillen, sondern suchen eine neue Heimat. Es wäre irrsinnig, wenn sie das fruchtbare Land des Deltas brandschatzen und verwüsten.«
* * *
Eine weitere Woche verging. Die Kundschafter meldeten, dass sich der Feind vier Tagesmärsche von ihnen entfernt befand. Ramses ließ daraufhin ein Lager errichten und ordnete eine Rast von zwei Tagen an, um sich und seinen Soldaten für den bevorstehenden Kampf etwas Ruhe zu gönnen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Waffen zu überprüfen.
Dankbar nahmen die Männer diese Pause an.
Am Abend brannten überall im Lager kleine Feuerstellen, um die die Soldaten schwatzend saßen. Vergessen schien der herannahende Feind, doch ihre Fröhlichkeit war nur Schein. Innerlich beteten alle, dass es den beiden Truppenverbänden im Delta gelingen würde, den Angriff von der Seeseite her abzuwenden. Was nutzte es, dass sie in der Einöde der östlichen Gebiete siegten, wenn in der Zwischenzeit ihre Familien der Willkür der fremdländischen Horden ausgesetzt waren.
Ramses beriet sich derweil mit seinen Generälen, um den bevorstehenden Angriff zu koordinieren.
Zahlenmäßig waren sie dem Feind überlegen, doch der riesige Tross mit den Frauen und Kindern bereitete dem Herrscher Kopfzerbrechen. Auch wenn es feindlich gesinnte Menschen waren, so waren es Frauen und Kinder, an denen sich kein Bewohner des Schwarzen Landes verging. Wie also sollte er reagieren, würden sie in die Kampfhandlungen eingreifen?
Die Späher hatten berichtet, dass sich der Tross geteilt hatte. Die Frauen und Töchter zogen nun vor den Männern und Söhnen dahin, seitdem auch sie um die herannahenden Truppen des Pharaos wussten. Würden sich die Krieger dem Kampf auf offenem Gelände stellen oder würden sie sich feige hinter ihren wehrlosen Frauen und Kindern verstecken, um ihn, Ramses, davon abzuhalten, den Kampf zu beginnen?
Nachdenklich starrte der Herrscher vor sich auf die Schriftrolle, auf die der Oberste Späher die Marschrichtung des feindlichen Trosses eingezeichnet hatte.
»Was sind das bloß für Krieger, die sich unter den Röcken ihrer Frauen verkriechen?«, schimpfte der General der Re-Division, der mit fast fünfzig Jahren der erfahrenste von Ramses’ Befehlshabern war. »Haben sie nicht genug Mumm in den Knochen, um gegen uns in den Kampf zu ziehen?«
»Was hattest du erwartet, Sobek. Es sind Fremdländische«, erwiderte Irinefer gelassen. »Sie haben keinen Funken Ehre im Leib und achten weder ihre Frauen noch Töchter, so wie wir das tun.« Zustimmung heischend sah er in die Runde.
»Es stimmt, was du sagst, aber für uns bringt es Probleme«, bestätigte Chaemwaset die Worte des Generals der Division Seth und hieb wütend mit der Faust auf den Tisch. »Was machen wir, wenn sie uns im Kampf gegenübertreten? Sollen wir erst ihre Frauen töten, bevor wir uns mit ihnen messen können?«
»Genau das ist es, was sie erreichen wollen«, sagte Ramses. »Sie kennen uns ziemlich gut und wissen, dass wir einen solchen Frevel niemals begehen würden. Wir ehren unsere Frauen und Töchter und betrachten sie nicht als unser Eigentum. Wir lieben sie und behandeln sie nicht wie unser Vieh. Nie würden wir die Hand gegen eine Frau erheben, geschweige gegen ein Kind, egal ob es ein kemitisches oder ein fremdländisches ist.« Ramses’ Blick wurde zornig. Zähneknirschend fügte er hinzu: »Und das wissen diese Barbaren und wollen uns überlisten. Sie glauben, dass ich nicht zum Angriff blasen lasse, wenn sie ihre Frauen vorausschicken, aber da haben sie sich getäuscht.«
Entsetzt sah Chaemwaset zu seinem Bruder. »Du willst ...?« Ihm wollten die Worte nicht über die Lippen kommen.
»Nein, Chaemwaset, ich will sie nicht niedermetzeln. Ich bin kein Barbar. Ich werde aber zu einer List greifen, um
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