Die Strafe des Seth
sie für ihre Feigheit zu strafen.« Entschlossen blickte Ramses in die Runde. »Morgen Abend brechen wir das Lager ab und ziehen im Schutz der Dunkelheit weiter. Wir nähern uns ihnen bis auf einen halben Tagesmarsch. Dann errichten wir unser Lager erneut. Der Feind soll denken, dass wir ihn genau an diesem Platz erwarten. Die Division des Amun wird unter Chaemwasets Führung dort verweilen. Alle Soldaten erhalten den Befehl, sich weiträumig zu verteilen und geschäftig umherzulaufen, sodass der Feind glauben gemacht wird, es würde im Lager von Soldaten wimmeln. In der Zwischenzeit werde ich mit Irinefer und der Seth-Division den Feind umgehen, um ihn von der Flanke her anzugreifen. Sobek wird dasselbe von der anderen Seite tun.« Ramses war fest entschlossen, sich vom Feind nicht die Regeln diktieren zu lassen. »Das Gelände ist für eine solche Kriegslist ausgezeichnet. Es ist hügelig und felsig, sodass wir des Nachts ungesehen den Feind umgehen können.« Er wandte sich seinem Bruder zu. »Bevor Re von Nut wiedergeboren wird, wirst du mit deinen Truppen Aufstellung nehmen. Ziehe die Reihen weit auseinander, auf dass der Gegner den Eindruck gewinnt, das gesamte Heer Meiner Majestät erwarte ihn dort. Und dann werde ich den Fremdländern zeigen, wer der wahre Herr des Schwarzen und des Roten Landes ist!«
»Und wenn sie nun deine Absicht durchschauen, Majestät?«, wagte Chaemwasets Sohn Amuni einzuwenden, der als Befehlshaber der Wagenlenker unter dem Oberbefehl seines Vaters diente.
»Sollte das geschehen, greifen wir sie an, Amuni. Du wirst in vorderster Reihe stehen und deine Männer anführen. Wenn die Schlacht eröffnet ist, werden die Streitwagen des Amun-Regiments im vollen Galopp auf den Tross zuhalten. Ich wage zu bezweifeln, dass die Frauen und Mädchen so viel Mut aufbringen werden, nicht zur Seite zu weichen, wenn sie die Rosse und Wagen auf sich zustürmen sehen. Ihr Gehorsam ihren Männern und Vätern gegenüber wird hoffentlich nicht so weit gehen, dass sie sich von den stampfenden Hufen der Pferde niedertrampeln lassen. Die Fußtruppen werden augenblicklich folgen und durch die Gassen, die du schlagen wirst, dem Feind entgegentreten.«
Amuni machte ein besorgtes Gesicht, wagte aber nicht, erneute Zweifel anzumelden.
»Gibt es weitere Einwände oder seid auch ihr derselben Meinung wie ich?«, fuhr Ramses an seine Berater gewandt fort. Erwartungsgemäß erfolgte zustimmendes Nicken. »Dann betet zu den tausend Göttern Kemis, dass meine List gelingt und wir den Feind besiegen.«
* * *
Als der Sonnengott Re in seiner Barke über den glutroten Horizont fuhr und die Dunkelheit dem Licht wich, sahen sich die Soldaten der Amun-Division einer gewaltigen Traube von Menschenleibern gegenüber, die sich zögernd auf sie zubewegte. Wie Ramses und seine Generäle vorhergesehen hatten, benutzten die feindlichen Krieger ihre Frauen und Töchter als lebende Schutzschilde, währenddessen sie ihnen zusammen mit den Knaben folgten.
»Feiglinge!«, spie Amuni verächtlich aus, der auf seinem Streitwagen stand und dem feindlichen Tross entgegensah. Er wandte sich um und blickte zu seinem Vater, der weiter hinter ihm die Fußtruppen befehligte.
Chaemwaset entging nicht der fragende Blick seines Sohnes. Verneinend schüttelte er leicht den Kopf.
Es war noch nicht soweit.
Seine Augen suchten die Hügelketten ab, doch von Ramses, Irinefer und Sobek war noch nichts zu sehen.
Unruhig scharrten die Hufe der Pferde über den verdorrten Boden. Sie spürten den nahenden Kampf und wollten dem Feind entgegengaloppieren, doch der General der Amun-Division gab noch immer nicht das Signal zum Angriff. Erst mussten die beiden anderen Truppenverbände Aufstellung bezogen haben, um den Feind beiderseits von den Flanken aus zu attackieren.
»Da, Hoheit!«, rief Chaemwasets Wagenlenker und wies mit dem ausgestreckten Arm nach Nordwesten.
Chaemwaset blickte in die angegebene Richtung und sah nun auch das kleine unscheinbare Blinken, welches das Signal war, dass die Re-Division in Stellung gegangen war. Sein Blick richtete sich nach Osten, doch vom Regiment des Seth kam noch immer kein Zeichen.
Wo blieb Ramses nur?
Die feindliche Masse aus menschlichen Leibern hatte sich ihnen schon so weit genähert, dass Chaemwaset bereits die Gesichter der Frauen und Mädchen erkennen konnte, in denen er das blanke Entsetzen sah.
»Es ist soweit, Hoheit!«, riss ihn sein Wagenlenker erneut aus seinen Gedanken. »Da, das
Weitere Kostenlose Bücher