Die Strafe des Seth
Lagerbestände an Getreide im Gau Theben auflisten? – Diese Arbeit war nicht einmal in einer Woche zu bewältigen.
Ramses-Sethherchepeschef schien seine Bestürzung bemerkt zu haben und fügte hinzu: »Der Nomarch und der Hohepriester werden dich dabei unterstützen.«
Erleichtert bedankte sich Senbi mit einer Verneigung.
Ramses-Sethherchepeschef erhob sich von seinem Platz und begann, im Audienzsaal hin und her zu laufen. »Die Große Königsgemahlin meines zu Osiris gegangenen Neffen hat das Dahinscheiden ihres Gemahls und ihrer beiden Söhne nicht gut verkraftet«, stellte er fest und wechselte damit das Thema. »Allem Anschein nach hat sie sich in die Hände der Götter begeben. Deshalb, so glaube ich, wird sie auch nicht mehr in der Lage sein, ihr Amt als Gottesgemahlin des Amun auszuüben. Wie denkst du darüber, Nesamun?« Er war stehen geblieben und sah fragend Nesamun an, der unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat.
»Es fällt mir schwer und steht mir auch nicht zu, dir darauf eine Antwort zu geben, Majestät. Doch ich weiß, dass die Trauer um einen geliebten Menschen es einem schwer machen kann. Auch ich habe vor einem Jahr meine geliebte Frau verloren und kenne diesen Schmerz. Nun aber ist Königin Isis eine so zarte Frau und muss gleich den Verlust von drei ihrer engsten Familienangehörigen beklagen.« Nesamun hatte die Stirn gekräuselt und wiegte den kahl geschorenen Kopf. »Doch die Zeit wird ihre Trauer und ihren Schmerz lindern. Da bin ich sicher.«
»Vielleicht hast du recht, Nesamun. Warten wir es ab, doch wenn ich in den Süden zurückkehre und Isis noch immer nicht bereit ist, ihren Pflichten Folge zu leisten, wird Amun-Re eine neue Gottesgemahlin erhalten.«
Nesamun hielt den Atem an. »An wen hattest du gedacht, Majestät?« Unruhig wich er dem Blick des Königs aus.
»Bis dahin ist noch Zeit, doch sei unbesorgt. Meine Große Königliche Gemahlin wird es nicht sein. Sie fühlt sich zu derlei anspruchsvollen Aufgaben nicht berufen.« Belustigt registrierte Ramses-Sethherchepeschef das erleichterte Aufatmen des Ersten Propheten. »Ich habe eine inzwischen fünfzehnjährige Tochter. Sie hat alle Voraussetzungen, eine würdevolle Nachfolgerin zu sein.«
»In der Tat, Majestät, das denke ich auch.« Nesamun neigte den Kopf, während sich Sethi wieder zu seinem Platz zurückbegab, um sich zu setzen.
»Dann geh jetzt, Nesamun, und erfülle all meine Befehle zur Zufriedenheit Meiner Majestät!«
Nachdem Nesamun verschwunden war, wandte sich Senbi an den Pharao. »Willst du ihnen deine Kornspeicher in Syrien öffnen?«
»Warum nicht? Dafür wurden sie angelegt. Mit diesem Korn sichere ich mir die Treue und Ergebenheit des Volkes und meiner Beamten. Sollen sie sich ruhig die Bäuche vollstopfen. Es ist genug vorhanden. Zudem wird in diesem Jahr die Ernte mehr als üppig ausfallen. Die Lagerhäuser werden wieder bis zum Rand gefüllt sein. Ein weiteres segensreiches Jahr steht Kemi bevor, und warum?«
»Weil mit dir ein fähigerer Mann auf dem Thron der Beiden Länder sitzt, als es dein Vorgänger war«, beantwortete Senbi grinsend die Frage, und Sethi nickte hoheitsvoll. »Doch was wird sein, wenn jemand erfährt, woher das Korn stammt?«
»Es darf eben niemand erfahren!«, blaffte Sethi. »Ich denke aber, es wird die Bauern und Handwerker nicht interessieren, woher ich das Getreide nehme, um ihnen ihre Bäuche zu füllen. Hauptsache, sie sind satt und leiden keinen Hunger.«
»Das mag schon sein, Majestät«, hielt Senbi dagegen. »Wie aber werden deine Beamten und Würdenträger reagieren, jene, die Ramses nahe gestanden haben?«
»Sie werden es nicht wagen, das Maul aufzureißen!«, knurrte Ramses-Sethherchepeschef. »Ich bin der Herr der Beiden Länder. Ich bin ein Gott, und was ein Gott tut, ist immer richtig!«
* * *
Acht Tage später stand der Pharao in edles Leinen gekleidet hoch erhobenen Hauptes auf seinem Wagen und rollte gemächlich durch den engen Zugang zum Königstal. Unterwegs glitt sein Blick rechter Hand zu dem schmalen Zugangsweg zum Westlichen Haus von Osiris Ramses VII., das nur dem Namen nach ein solches war.
Was hatte seinen Neffen nur dazu bewegt, sein Haus für die Ewigkeit so weit weg von denen seiner göttlichen Vorfahren anlegen zu lassen?
Sethi kannte die Antwort nicht darauf. Er jedenfalls wollte ganz in ihrer Nähe auf seine Reise zu den Göttern warten.
Sie passierten den Zugang zum Grab seines Bruders, Ramses VI., und hielten
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