Die Strafe - The Memory Collector
mochten - Emo. Eher schon Screamo. Genau. Herzzerreißende Teenagerschnulzen und dazu ein schmollender Sänger, der ins Mikro kreischte. Irgendwie kam es ihm vor, als würden Jareds Freunde drüben am Pool mitsingen.
Auf diese Musik stand er einfach nicht. Sie war überhaupt nicht mit Grateful Dead oder den anderen Klassikern zu vergleichen. Die Nacht war kühl, aber er hatte das Gefühl, stundenlang neben einem lodernden Hochofen rumgehangen zu haben. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Die Leute auf der Party, diese Spieledesigner und Screamofans, das war nicht seine Kragenweite. Er musste endlich nach Hause und sich in die Falle hauen. Besonders heute Abend mit diesem furchtbaren Jetlag. Die Lampen am Pool waren aus, aber die Fackeln brannten. Alle rannten wild durcheinander. Wieder mal eine von Jareds verrückten Feiern. Diese Kids. Spielten Fangen am Pool, als ob sie noch nicht erwachsen wären. Aber so war es eben, wenn man vom Verkauf von Spielen reich wurde.
Er umrundete das Haus, seine Flipflops klatschten auf dem Weg. Er hatte ein Bier in der Hand. Knackte es mit dem Feuerzeug auf und trank. Ah, schon besser.
Er beschloss, die Feiernden nicht zu stören. Es war nicht nötig, dass er sich verabschiedete. Er musste dringend nach Hause, das verstand der Chef bestimmt.
Er zog das Tor auf und schlenderte über die Auffahrt zur Straße. Klar wie Nadelspitzen standen die Sterne am Himmel. Er streckte die Hände über den Kopf und warf einen kurzen Blick zurück zum Haus. Die Eingangstür klaffte auf. Drinnen rasten Leute herum wie die Irren. Sie schrien, rannten raus und rein, manche in Badekleidung. Einer sprintete sogar an ihm vorbei und schrie dabei aus vollem Hals.
Wie Kinder. Vielleicht spielten sie Erobere die Fahne . Er schaute dem Mann nach.
Nicht zu fassen, jetzt brauste auch noch ein Feuerwehrwagen die Straße hoch.
Blaue und rote Spiralen zuckten über den Berg, Sirenen heulten. Noch mehr Leute strömten aus Jareds Haus. Das reinste Affentheater.
KAPITEL 11
Jo erwachte vom Scheppern des Windes. Sie schlug die Augen auf und blickte durchs Dachfenster mitten in einen acrylblauen Himmel. Es war sechs Uhr früh.
In ihrer Jugend hätte Jo für eine zusätzliche Stunde Schlaf am Morgen notfalls ihre jüngere Schwester an einen Wanderzirkus verkauft. Doch beim Medizinstudium war ihre innere Uhr umgepolt worden. Schon im zweiten Jahr konnte sie im Dunkeln über den Stanford-Campus fahren, ihre Notizen in einer und den Kaffeebecher in der anderen Hand. Einmal tat sie es sogar um halb sechs Uhr morgens in weißem Kittel und Pyjama. Inzwischen schlief sie nur noch selten länger als bis sieben.
Eine Minute blieb sie fest eingekuschelt liegen. Ihr Schlafzimmer war voller leuchtender Farben, die sich gegen das nasskalte Wetter in der Stadt behaupteten. Das Bett hatte einen schwarzen Lackrahmen und eine rote Decke. Um sie herum lagen goldene und orangefarbene Kissen. Auf der Kommode blühten korallenrote Orchideen.
Sie fragte sich, wo Ian Kanan jetzt war. In einem Hotel, zusammengekauert in einem Hauseingang? Irrte er ziellos
irgendwo herum? Sie dachte an Misty Kanan. Ob sie ihrem Sohn endlich erzählt hatte, dass Ian verletzt und auf der Flucht war? Mistys Verhalten kam ihr seltsam vor. Von der ersten Sekunde an hatte sie Jo und Amy Tang offenbar als Bedrohung wahrgenommen. Vielleicht hatte Tang Recht, und Misty wusste von Ians Verwicklung in einen fehlgeschlagenen Raub. Auf jeden Fall stimmte irgendetwas an der Atmosphäre in Kanans Haus überhaupt nicht. Aber vielleicht lag es einfach daran, dass Misty angesichts dieser Katastrophe darum kämpfte, nicht den Verstand zu verlieren.
Das Unternehmen Chira-Sayf brachte sie ebenfalls ins Grübeln. So vielversprechend ihre Möglichkeiten waren, Nanotechnologie hatte auch etwas Unheimliches an sich. Wenn Kanan tatsächlich vergiftet worden war, lohnte es sich auf jeden Fall, dem Verdacht einer Kontamination durch Nanopartikel nachzugehen.
Um diese Zeit war bei der Firma noch niemand zu erreichen. Sie hatte Kanans Chef Riva Calder mehrere Nachrichten hinterlassen und wollte es nachher zu einer zivileren Zeit erneut probieren. Aber im Augenblick war sie hellwach, und in ihr gärte es. So schlug sie die Decke zurück, warf sich in ihre Trainingskluft und fuhr zur Kletterhalle.
Mission Cliffs füllte ein umgebautes Lagerhaus im Mission District. Mit einem Gewirr künstlicher, bis zur Decke aufragender Felswände bot die Halle einen idealen Spielplatz
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