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Die Strafe - The Memory Collector

Titel: Die Strafe - The Memory Collector Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Gardiner
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für Erwachsene. Sie trug sich ins Kletterbuch ein und dehnte sich gründlich, ehe sie die Schuhe anzog und Gurt sowie Magnesiumtasche umlegte. Ein anderer Frühaufsteher bot ihr an, sie zu sichern. Sie nahm ihr Seil heraus und suchte sich eine Wand aus. Sie war knapp zwanzig Meter
hoch, hatte die Farbe der Felsen in Monument Valley und war mit bunten Haltegriffen übersät. Und das Schönste war, dass sie ihr im frühmorgendlichen Sonnenschein, der durch die Dachfenster einfiel, ganz allein gehörte.
    Wenn es darum ging, sie auf Touren zu bringen, den Nebel aus dem Kopf zu verscheuchen und ihr ein Gefühl von Lebendigkeit zu verschaffen, ging nichts über die Reinheit und Herausforderung des Kletterns. Mit Ausnahme von Sex an einem guten Tag natürlich. In der Wand drehte sich alles nur um Physik und Mut: das Planen der Route bis nach oben, das Einschätzen der Kräfte, der Hebel, der Winkel, der eigenen Grenzen. Hier zählte nichts anderes als Schneid und Schwerkraft.
    Sie legte nach unten und oben führende Abschnitte auf verschiedenen Routen zurück und brauchte ungefähr zwei Minuten, um die Wand zu erklettern. Dann hing sie schließlich hoch droben, über allem. Nur von einem dünnen Seil und ihrer eigenen Kraft gehalten, umgeben von Weite und Licht. Ein berauschendes Gefühl.
    Warum sollte man angeschnallt in einer Aluminiumbüchse fliegen wollen, wenn man klettern konnte?
    Als sie die Kletterhalle verließ, leuchtete die Stadt. In San Francisco glänzt das Tageslicht reinweiß. Es spiegelt sich in den Wänden viktorianischer Häuser, die an den Hügeln kleben wie Spielkarten. Es perlt aus dem letzten Nebel und schnellt wie ein Fisch aus den Schaumkronen in der Bucht. Die Sonnenbrille auf der Nase, setzte sich Jo ans Steuer und machte sich auf Kaffeesuche.
    Nach einem Block überlegte sie es sich anders und fuhr Richtung Noe Valley.

    Gabe’s Toyota 4Runner parkte vor einem Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert, das von großen Eichen überragt wurde. Er war barfuß in Jeans und einem USF-T-Shirt, als er die Tür öffnete. Sein Haar war zerzaust. Seine Haut leuchtete bronzen in der Sonne.
    Wer brauchte da noch Koffein? »Morgen, Sergeant.«
    Er zögerte. Normalerweise begrüßte er sie mit »Dr. Beckett« oder »Ms. Seelenklempnerin«. Heute trat er nur beiseite und ließ sie ein. »Du wirkst so aufgekratzt.«
    »Wollte mich nur erkundigen, ob du was über Ian Kanan erfahren hast.«
    »Deswegen stehst du um halb acht morgens bei mir auf der Schwelle?«
    »Ja.« Sie lächelte. »Nein.«
    Dann schob sie ihn an die Wand und küsste ihn.
    Er bekam große Augen. »Bist du von Orangensaft auf Raketentreibstoff umgestiegen?«
    »Mal sehen. Hast du ein Streichholz?«
    Aus der Küche drang eine Kinderstimme. »Dad, die Eier brennen an.«
    Jo hielt ihn noch eine Sekunde fest. Sie konnte das Zischen einer Bratpfanne und die Morgennachrichten im Fernsehen hören.
    Gabe zog ein bedauerndes Gesicht. »Stell es kurz runter, Schatz.«
    Mit einem tiefen Atemzug trat Jo zurück. Gabes neunjährige Tochter Sophie spähte durch die Küchentür. »Hi, Jo.«
    »Hi, Kiddo.«
    Sophie hatte ein schüchternes Lächeln und einen langen
silbergoldenen Zopf. Sie trug die blaugraue Uniform einer Konfessionsschule.
    »In Geschichte nehmen wir gerade das alte Ägypten durch. Hast du gewusst, dass Tutenchamun ohne sein Gehirn begraben wurde?«
    »So haben sie es eben damals gemacht.«
    »Krass. Aber cool. Ich hab Hunger.« Sie drehte sich wie eine Ballerina und verschwand in der Küche.
    Gabe senkte die Stimme. »Ihr Schulbus geht um acht. Hab nicht mehr viel Zeit.«
    Jo fegte sich das Haar aus dem Gesicht. »Egal. Ich brauch sowieso einige Zeit, um die Erinnerung an katholische Schuluniformen wieder loszuwerden.«
    Er hob die Hände. »Herr im Himmel, setz mir bloß keinen Floh ins Ohr. Du in so einem Ding? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
    »Aber ich weiß noch, dass ich eine anhatte. Und jetzt hör ich auf einmal nichts anderes mehr als den Mädchenchor mit ›Regina coeli‹ unter der Leitung von Sister Dominica.« Sie strich ihm mit der Fingerspitze über die Lippen. »Ich muss los.«
    »Wegen Kanan - ich hab einen Kumpel von der Air Force angerufen. Er kennt ein paar Leute, die Bescheid wissen sollten.«
    »Super. Du weißt ja, wo du mich findest.«
    »Leutesuchen ist meine Spezialität.«
    Lächelnd wandte sie sich zur Tür. Aus der Küche ertönten jetzt die Lokalnachrichten.
    »… die Namen der Opfer noch nicht veröffentlicht,

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