Die Strafe - The Memory Collector
Deadline.«
Jo schaute auf die Uhr an der Wand. Bis zum Samstag waren es keine zwölf Stunden mehr.
KAPITEL 16
Stef Nivesen hörte den Glockenton aus den Lautsprechern der 747. Sie öffnete ihren Gurt und stand auf.
»Stef?« Charlotte machte ein verdutztes Gesicht. »Wo willst du denn hin?«
»Die Getränke fertig machen.«
»Hast du sie nicht mehr alle? In ein paar Sekunden kriegen wir die Starterlaubnis.«
Stef warf einen Blick durchs Ausgangsfenster. Sie befanden sich auf der Rollbahn, kurz vor dem Abflug.
Charlotte legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Ich weiß, der besoffene Nadelstreifenheini auf 12 B drückt ständig auf die Klingel, aber er muss sich eben noch gedulden. Seinen Jim Beam kriegt er erst, wenn wir Reisehöhe erreicht haben.«
Der britische Banker in der zwölften Reihe unterhielt sich lautstark mit seinem Nachbarn.
»Setz dich wieder hin, Schätzchen«, fügte Charlotte hinzu. »Das soll Allen übernehmen.«
Stefs Kollege Allen hockte angeschnallt auf dem Notsitz bei der vorderen Tür. Er beobachtete den angeheiterten
Passagier mit pikierter Miene. Als er Stefs Blick auffing, verdrehte er die Augen.
Stef nahm wieder Platz. Der Scheinwerferhimmel war beängstigend hell. Sie ließ die Jalousie herunter und gurtete sich an.
Aus den Lautsprechern kam die Stimme des Kapitäns. »Flugbegleiter, bitte bereitmachen zum Start.«
Die Motoren gingen auf volle Schubkraft, und das große Flugzeug beschleunigte. Die Wände klapperten. Stef schloss die Augen.
Sie hörte einen Glockenton. Seufzend löste sie den Sicherheitsgurt.
Charlotte zupfte sie am Arm. »Was ist los? Wir sind doch erst seit zehn Sekunden in der Luft.«
»Ich dachte …«
»Der auf 12 B hat schon wieder geklingelt. Aber wir sind erst auf tausend Fuß. Stef, ist alles in Ordnung mit dir?«
12 B? Was meinte Charlotte mit wieder ? Der Boden war steil aufgerichtet, und die Motoren dröhnten fast noch mit Startschub. Warum hatte sie sich bloß losgeschnallt?
Ihr war heiß. Die Klimaanlage schien zu laufen, aber die Luft im Flugzeug war zum Schneiden. Sie lehnte den Kopf an die Wand.
»Ist dir nicht gut?«, fragte Charlotte besorgt.
»Ehrlich gesagt geht’s mir nicht besonders.« Die Maschine schlingerte. »Turbulenzen.«
Aber normalerweise machten ihr Turbulenzen wenig aus. Sicher, für die Passagiere war das oft eine Schrecksekunde.
Manchmal wollten sie unbedingt aussteigen. Auch mitten im Flug.
Dieser verrückte Kerl in der Maschine aus London - wieso war er zum Notausgang gestürmt? Wegen der Hitze? Sauerstoffmangel? Sie zerrte an ihrem elegant um den Hals geschlungenen Schal. Sie hasste die abgestandene, keimverseuchte Luft in Linienjets. Dieser Typ, Kanan, hatte verzweifelt versucht, das Flugzeug zu verlassen. Irgendwie konnte sie auf einmal besser verstehen, wie er sich gefühlt hatte.
Sie riss sich den Schal endgültig herunter. »Verdammt heiß.«
Und dieser Juckreiz. Sie kratzte sich am Arm. Eigentlich juckte es genau an der Stelle, wo Kanan sie in dem Getümmel gepackt hatte. Ein mulmiges Gefühl beschlich sie.
Ihr Blick schweifte durch das Flugzeug. Die Wände waren parabolisch geschwungen. Das Sonnenlicht ließ die Passagiere so scharf hervortreten, dass sie jeden Faden an den Säumen ihrer Kleidung und jedes Haar auf ihren Köpfen wahrnahm. Sie wurden in ihren Sitzen hin und her geschüttelt. Der Passagier auf 12 B beugte sich in den Gang und winkte ihrem Kollegen Allen zu wie einem Getränkekellner.
Warum stellte nicht jemand die Klimaanlage an? Sie hatte das Gefühl - mein Gott, sie hatte das Gefühl zu ersticken. Sie bekam gar keine Luft mehr. Da musste doch endlich jemand eingreifen. Sauerstoffmangel konnte für Passagiere und Besatzung tödlich sein.
Sie erinnerte sich an ihre Ausbildung. Anoxie führt schnell, leise und unmerklich zum Tod. Ein Druckabfall in großer Höhe wirkt erstickend, und das Notsystem des Flugzeugs - die Sauerstoffmasken, die sie schon tausendmal
vorgeführt hatte - hält nur Luft für zehn Minuten bereit. Bei einer explosionsartigen Dekompression muss der Pilot sofort unter fünfzehntausend Fuß gehen. Andernfalls werden alle bewusstlos.
Aber ein zerbrochenes Fenster ist nicht die einzige Ursache, die die Sauerstoffzufuhr abwürgen kann. Auch giftige Dämpfe können ins Flugzeug dringen.
Die 747 stieg weiter. Der Gurt zerquetschte ihr die Lunge. Sie konnte nicht atmen neben Charlotte. Charlotte verbrauchte den ganzen Sauerstoff. Alles im Fluggastraum wirkte
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