Die strahlenden Hände
stehen und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Scheune. Dort umringte eine große, wartende Menschenmenge das Gebäude, ein Krankenwagen stand vor der Tür, man diskutierte über das, was sich hinter den Fenstern jetzt abspielen mußte.
Die beiden Sanitäter, die in ihren weißen Kitteln und Hosen wie zwei Wächter an der Tür standen, hielten auch prompt Dr. Roemer fest, als dieser anklopfen wollte.
»Immer der Reihe nach!« rief eine Frau aus der Menge mit schriller Stimme. »Der ist gerade erst gekommen, das habe ich gesehen. Anstellen! Hinten anstellen!!«
Dr. Roemer blähte die Brust. Wer ihn kannte, der ging jetzt schleunigst in Deckung. »Ich gehöre zur Familie!« brüllte er. Seine gewaltige Stimme erstickte jede Gegenwehr. »Es ist unerhört, wie man sich hier benimmt!« Er schob den Sanitäter mit einem Ruck zur Seite, knallte die Faust gegen die Tür und rief: »Corinna! Aufmachen! Hier ist Onkel Erasmus!«
Im Ausstellungsraum griff sich Dr. Hambach an den Kopf und stierte Doerinck an. »Du lieber Himmel, das ist Dr. Roemer. Auch das noch! So brüllen kann nur einer. Was will der denn hier?«
Corinna kniete neben der Trage und hatte ihre Hände auf die um das Kruzifix gefalteten Hände der Kranken gelegt. Der Mann weinte noch immer, lautlos, mit gesenktem Kopf. Die Tränen liefen ihm über das Kinn und in den Kragen hinein. Er wußte, daß diese Fahrt sinnlos gewesen war; aber für sie, die Aufgegebene, war es der Weg zu einem Wunder geworden. Ein stilles Lächeln lag über ihrem gelben, eingefallenen Gesicht.
»Laßt ihn rein«, sagte Corinna und streichelte die Hände der Frau. »Ihm geht es wirklich dreckig. Ich habe keine Erklärung dafür, weshalb ich bei ihm versage.«
Dr. Hambach, für den es völlig neu war, daß Roemer heimlich als Patient zu Corinna kam, starrte sie ungläubig an. Dann schüttelte er stumm den Kopf, als wolle er sagen, man müsse sich wirklich an Überraschungen gewöhnen, öffnete die Tür einen Spalt, und Roemer wuchtete ins Haus. Er blieb betroffen stehen, als er die Trage mit der gelbgesichtigen Frau und die davor kniende Corinna sah, murmelte eine Entschuldigung und ging auf Zehenspitzen an die Wand. Es sah komikerreif aus: Ein Elefant beim Spitzentanz.
»Was wollen Sie denn hier?« flüsterte ihm Dr. Hambach zu. Auch van Meersei kam zu ihnen, stellte sich leise vor und gab Roemer die Hand.
»Ich will helfen«, hauchte Roemer zurück. Aber was er als Hauchen empfand, war für die anderen von natürlicher Lautstärke. »Das da draußen ist ja Wahnsinn.«
Corinna erhob sich von den Knien und trat ein paar Schritte von der Trage zurück. Sofort folgte ihr der Antiquitätenhändler, nachdem er noch einmal zärtlich über den Scheitel seiner Frau gestrichen hatte.
»Ich weiß, es hat keinen Sinn«, flüsterte er. »Aber was sagen wir ihr? Sie glaubt an ein Wunder.«
»Ich werde ihr helfen, so gut ich es kann.« Corinna legte die langen, schmalen Hände aneinander und drückte die Fingerspitzen unter ihr Kinn. »Auch wenn es nicht mehr hilft: Sie soll ruhig und glücklich sterben in dem Glauben, es geschähe ein Wunder. Auch das ist eine große Hilfe.«
»Ich danke Ihnen …«, stammelte der Mann. »Oh, ich danke Ihnen!«
Sie ging zu der Trage zurück und beugte sich über die Frau, deren große glänzende, schon in das Jenseits blickende Augen jede ihrer Bewegungen verfolgten.
»Es wird jetzt sehr warm in Ihnen werden«, sagte Corinna und lächelte in das gelbe, eingefallene Gesicht. »Sie werden sich wohl fühlen, so wohl wie nie, und müde, sehr müde werden. Und wenn Sie aufwachen, wird es Ihnen besser gehen … langsam, ganz langsam wird die Krankheit in sich zusammenfallen. Wir müssen nur Geduld haben, viel Geduld …«
Die Frau lächelte verzerrt zurück. Ihr schmaler Kopf nickte schwach. Aber ihre Augen weiteten sich noch mehr. Meersei stieß sich neben Roemer von der Wand ab und kam näher. Er schlich sich an, so sah es aus.
Corinna breitete ihre Hände aus und ließ sie über dem Körper der Kranken schweben. Zehnmal vom Kopf bis zu den Hüften, hinauf und hinab; ihr Gesicht fiel dabei ein, die hohen Backenknochen stachen noch mehr hervor, Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn, die Lippen zitterten. In ihren Fingerspitzen brannte es, und sie wußte nun ganz sicher, daß es keine Hilfe gab, daß dieser Körper unter ihren Händen von der Krankheit total zerstört war. Dennoch ließ sie ihre Finger zehnmal über ihn gleiten, starrte dabei in das
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