Die strahlenden Hände
Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist. Es bleiben also Konsequenzen zu überlegen. – Ich danke Ihnen, Herr Doerinck.«
Ohne ein weiteres Wort verließ Doerinck das Lehrerzimmer, ging in seine Klasse zurück, setzte sich hinter das Pult und blickte über die gesenkten Köpfe der an ihrem Aufsatz schreibenden Kinder. Sechsundzwanzig Jahre, dachte er. Hellenbrand – die neue Heimat. Vizepräsident des Kegelclubs, Schützenkönig, Dirigent des Kirchenchores, jedermanns Freund … was gilt das alles? O Gott, ist dieses verlorene Leben nicht zum Kotzen?
Die Schulklingel schellte. Ende der Stunde. Hefte einsammeln. Pause. Die Schüler drängten durch die Klassentür.
Doerinck blieb sitzen, bis alle hinaus waren, dann ging er langsam den langen Flur hinunter. An der Treppe stieß er auf Ferdinand Hupp; er schien auf ihn gewartet zu haben.
»Du bist ein Rindvieh«, sagte Hupp heiser und zerknirscht. »Ein Riesenrindvieh bist du, Stefan!«
»Mag sein, aber auch Rindviecher muß es geben. Was hättet ihr sonst zum Abschlachten?«
*
Zum Mittagessen war Marius Herbert wieder aus Münster zurück. Unverletzt, mit heilem Wagen, strahlend und nicht wiederzuerkennen.
Er hatte sich die Haare schneiden lassen!
»Glauben Sie nicht«, sagte er zu Stefan Doerinck, der ihm ein Bier anbot, »daß ich mir die Haare habe absäbeln lassen, weil sie Ihnen mißfielen. Das wäre eher ein Grund gewesen, sie noch länger wachsen zu lassen …«
»Danke«, warf Doerinck giftig ein.
»Nein, das war wegen des Zeltes!« Herbert nahm einen langen Schluck Bier und unterdrückte deutlich ein Aufrülpsen. »Bei zwei Verleihern war ich. Die guckten mich dämlich an und sagten dann: ›Willste 'n Pennerasyl aufmachen? Oder 'ne Haschbude? Nicht mit unserem Zelt! Kratz bloß die Kurve, Junge …‹. Da bin ich zum Friseur, habe gesagt: ›Schneiden Sie mir die Haare so, daß ich aussehe wie'n Kapitalist.‹ Beim dritten Zeltverleiher hat's dann sofort geklappt. Das Ding wird morgen früh aufgestellt. Platz für hundert Personen. Mit 'nem Dielenboden und 'nem eingebauten festen Eingang.« Marius Herbert schüttelte den gestutzten Kopf. »Ist doch merkwürdig, diese Menschheit: Nur weil man einen allgemein verständlichen Haarschnitt hat, wird man nicht hinausgeschmissen. Bin ich deshalb 'n anderer Mensch? Hat sich mein Wesen mit den Haaren verändert? Das muß man mir mal logisch erklären …«
Zum Essen kam auch Dr. Roemer herüber. Dr. Hambach praktizierte noch; seine Praxis war voll wie seit Jahren nicht. Da jeder wußte, daß er mit dem Lehrer Doerinck befreundet war, wollten nun alle wissen, was nach dem Brand kommen werde. Eine Frage vor allem stellte jeder: »Was ist denn nun dran an dieser Corinna? Hat die was in den Händen, das heilen kann? Was sagen Sie dazu, Herr Doktor?«
Dr. Hambach rettete sich in eine unverbindliche Philosophie. Er antwortete immer: »Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde …« Dann machte er eine lange, bedeutsame Kunstpause und sprach weiter: »… Ja, die gibt es!«
Das war eine Antwort, die schaurig über den Rücken lief. Man war sehr zufrieden damit.
»Willbreit hat angerufen«, sagte Roemer dröhnend und schnupperte in die Luft. Ljudmila hatte Ljulja-Kebab gebraten, ein kaukasisches Gericht, das aus gehacktem Lammfleisch am Spieß besteht, gewürzt mit frischer Minze und feingehackten Zwiebeln. Es duftete köstlich aus der Küche. »Meine Frau kommt wieder nach Hause. Der Professor hat sie alarmiert. Jetzt suche ich ein Loch, um mich vor ihr wie ein Mäuslein zu verstecken.«
»Für Sie müßte es schon ein Granattrichter sein!« Van Meersei lachte meckernd. »Ist Ihre Frau so resolut?«
»Kuhaugen hat sie, und wenn sie mich damit ansieht und zu weinen anfängt, daß die dicken Tränen herauskullern wie kleine blanke Glaskugeln – da werd' ich weich und vergesse alle guten Vorsätze. Verdammt noch mal – Corinna, können Sie nicht mit meiner Elise sprechen?«
»Ich will's versuchen, aber ich nehme an, daß sie vollkommen unter dem Einfluß von Professor Willbreit steht.«
»Den übernehme ich!« Roemer donnerte die Faust auf den Tisch. »Mit Männern komme ich besser zurecht. Hausfrau und Zauberin der Küche – der Duft bringt mich um!« Er sah Corinna mit weiten Augen an. »Wie lange kann ich das Essen noch genießen?«
»Das müssen Sie den lieben Gott fragen.«
»Der gibt mir keine Antwort. Haben Sie Hoffnung bei mir?«
»Ja.«
»Halleluja!« Dr. Roemer breitete die Arme weit aus. »Ich
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