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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tag gab er auf. Er sah die Sinnlosigkeit seiner hartnäckigen Weigerung ein, aber er wollte nicht kampflos den Rückzug antreten. Er verabschiedete sich von seiner Klasse, als käme er nie wieder, und die Kinder sangen zum Abschied sehr sinnig das Lied: »Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.«
    Doerinck war den Tränen nahe gewesen, als er das Schulhaus verließ. Nach sechsundzwanzig Jahren treuer Pflichterfüllung.
    »Das wär's nun«, sagte er zu Ljudmila, setzte sich in seinen Sessel, seinen Stammplatz, und streckte die Beine von sich. »Ein alter Hund kann sich auf der Ofenbank zusammenrollen.«
    Da half es an diesem Tag auch nicht, daß Ljudmila ihm eine Romowaja Baba buk, einen mit Rumsirup getränkten Hefekuchen. Doerinck rührte ihn nicht an. Dafür fraßen ihn Roemer und Dr. Hambach bis zum letzten Krümel auf.
    Und nun waren sie über das sonnendurchtränkte Moskau geflogen, sahen unter sich die dunklen Wälder von Scheremetjewo und setzten zur Landung an. Im Augenblick, wo die Räder des Flugzeuges russischen Boden berührten, bekreuzigte sich Ljudmila, wie es auch ihre Mutter getan hatte. »Der Herr sei mit uns!« sagte sie leise und auf russisch. »Maria, Mutter Gottes, beschütze uns.«
    Der Rückstau der Düsen ließ das Flugzeug erzittern, an den Fenstern tauchten die Flughafengebäude auf, die riesigen Namenslettern, die modernen, weitläufigen Bauten, stolz und imposant.
    Sie waren in Moskau.
    *
    Wenn sie geglaubt hatten, in die Mühlen der sowjetischen Bürokratie zu geraten, wurden sie jetzt belehrt, daß es auch in der UdSSR ›planmäßige Ausnahmen‹ gab.
    Während alle anderen Passagiere zu der Paßkontrolle drängten, empfingen zwei breit lächelnde Herren in hellgrauen Anzügen Corinna und ihre Begleitung noch vor der Sperre, hinter der sowjetisches Leben begann. Etwas seitlich von ihnen stand ein Offizier der Miliz herum und tat sehr uninteressiert, aber es war klar, daß man ihn dazu abgestellt hatte, die Ankömmlinge aus Deutschland mit dem Sonderstatus zu begutachten.
    »Dr. Latischew … Dr. Boganorow …«, stellten sich die beiden Herren vor, verbeugten sich artig und gaben Corinna und Ljudmila die Hand. Doerinck, Herbert und Dr. Hambach nickten sie lediglich zu. »Willkommen in Moskau. Hatten Sie einen guten Flug? Welch ein Wetter haben Sie mitgebracht. Bis gestern hat es noch geregnet! Das ist ein gutes Zeichen: Die Sonne kommt mit Ihnen nach Moskau …«
    Die üblichen Floskeln, gesprochen in einem beinahe akzentfreien Deutsch. Fast war das ein wenig enttäuschend. Aber dann sagte Dr. Latischew etwas, was Doerinck wieder versöhnte:
    »Wir brauchen uns nicht anzustellen wegen der Pässe; wir haben einen besonderen Weg. Unendlich lang würde das dauern einschließlich der Zollformalitäten. Ihr Gepäck ist in Frankfurt schon bezeichnet worden; es wird sofort aussortiert und kommt zu uns. Darf ich Sie einladen zu einem Begrüßungstrunk? Die damskij vielleicht zu einem Krimskoje, die gospotskij zu einem Wodka?«
    »Das ist eine blendende Idee«, sagte Dr. Hambach. Marius Herbert rollte mit den Augen. Wenn das hier so weitergeht, überlebe ich Rußland nicht, dachte er. Mein Magen ist ein Feuerofen. Und im Hirn kreisen Nebel.
    »Wir haben einen schönen Raum für unsere Gäste«, sagte Dr. Boganorow und kreuzte einen Blick mit dem an der Wand stehenden Milizoffizier. Der Uniformierte kratzte sich die Nase, schien zufrieden zu sein und schlenderte davon. »Darf ich bitten?«
    Der separate Raum neben der Paßkontrolle war klein, mit biederen Polstermöbeln ausgestattet, zum Flugfeld hin dick verglast, und hatte als Ausgang nur eine Tür, die sich öffnete, wenn man auf einen Klingelknopf drückte. Auch Ehrengästen schien man hier nicht ganz zu trauen. Dr. Boganorow bot die Sessel an, setzte sich zwischen Corinna und Ljudmila und sprudelte nur so vor Freundlichkeit. Dr. Latischew verteilte die Getränke, die eine hübsche Stewardeß der Aeroflot ins Zimmer brachte, auf einem schönen Lacktablett, das eine russische Landschaft zeigte. Als Marius in dem niedrigen Wasserglas den Wodka roch, wurde ihm wieder übel.
    »Professor Neroschenko ist sehr gespannt auf Sie«, sagte Dr. Boganorow und prostete Corinna und Ljudmila mit dem Champagnerglas Krimsekt zu. »Was wir bisher gehört und gelesen haben … erstaunlich, wirklich erstaunlich. Haben Sie schon von unserer Dschuna Davitaschwili gehört?«
    »Man hat in Deutschland viel über sie

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