Die strahlenden Hände
stand in einem immerwährenden Ringkampf mit seiner Kurzatmigkeit und ärgerte sich über seine prallen roten Bäckchen, die rücksichtslos verrieten, daß er Diabetiker war. Seine Tochter Tatjana, als Assistentin im Biologischen Institut von Odessa tätig, hatte einmal einen Satz geprägt, den alle Mitarbeiter Neroschenkos kannten. Das war vor zwei Jahren gewesen, als Maxim Victorowitsch in Neuguinea die Medizinmänner der Hochland-Papuas und die berühmten Lehmmänner studieren wollte. Da sagte Tatjana nämlich, weil irgend jemand darauf hinwies, daß noch vor ein paar Jahren dort Menschen gefressen worden seien: »Papa werden sie nicht als saftigen Braten dabehalten, sondern als Zuckervorrat.« Es wird behauptet, Neroschenko habe daraufhin als Protest drei große Stücke Sahnetorte gegessen.
Die erste Begegnung zwischen Corinna und Neroschenko fand im Hotel Metropol statt, in einer Ecke der Bar. Mit ausgestreckten Armen kam er auf sie zu und rief in einem schaurigen Deutsch: »Ha! Bist da du! Aussehen noch schöner wie Bild. Hand gib her!«
Er nahm Corinnas Rechte zwischen seine Hände, drückte sie und wartete. Man wußte nicht, ob er auf einen Blitzstrahl aus Corinnas Hand hoffte, oder ob er verzweifelt nach weiteren deutschen Worten suchte. Endlich sagte er: »Du besser wie Dschuna!«
»Werden wir Dschuna treffen?« fragte Corinna gespannt.
»Nein.« Dr. Latischew befreite seinen Chef von der Qual, aus Höflichkeit Deutsch zu sprechen. »Dschuna verlebt gerade einen Urlaub auf der Krim, in Jaita.«
»Morgen wir fliegen nach Tscheljabinsk!« rief Neroschenko fröhlich.
»Wohin?« fragte Doerinck. Bisher hatte man ihnen nur gesagt, Moskau sei ihr Ziel.
»Tscheljabinsk. Ural. Dort schon Schnee. Eis. Große Kälte. Viel Schnee.«
»Das Institut von Professor Neroschenko ist vor einiger Zeit nach Tscheljabinsk verlegt worden, weil wir da bessere Möglichkeiten für unsere Experimente haben. Unsere Gruppe besitzt ein eigenes Flugzeug«, erklärte Dr. Boganorow. »Außerdem haben wir dort mehr Ruhe und können ganz unserer Forschung leben. Moskau ist ja nicht weit, nur 1.800 Kilometer entfernt.« Er lachte kurz auf. »Für uns keine nennenswerte Strecke.«
»Auch Sie, Ljudmila Davidowna!« rief Neroschenko und zeigte mit dem Finger auf sie. Und dann sprach er russisch mit ihr. »Sie interessieren mich auch.«
»Ich bin nur die Mutter, Gospodin Professor.«
»Das ist es ja. Die Mutter von Corinna und die Tochter von David Assanurian.«
»Sie kennen meinen Vater?« fragte Ljudmila.
»Gelesen habe ich von ihm. Mich informiert. Ha, welch ein Mann! Läßt sich umbringen von einem Eifersüchtigen. Hätte – wie Ihr Töchterchen Corinna – mithelfen können, die Welt zu verändern. Und was tut er? Kommt durch Dämlichkeit der Behörden in die Verbannung und versteckt sein Genie! Aber er lebt ja weiter … in Ihnen, in seinem Enkelchen, um uns im Raum, in der anderen Dimension …«
»Was will er?« fragte Dr. Hambach leise Stefan Doerinck. Er verstand natürlich kein Wort. Doerinck, dessen Russisch noch gut genug war, um der Unterhaltung folgen zu können, winkte ab. »Er sagt, Ljudmilas Vater sei um uns.«
Dr. Hambach hob den Blick zur Bardecke, blinzelte und sagte: »Einen schönen guten Abend, Kollege Assanurian …«
»Laß den Blödsinn, Ewald!« Doerinck stieß Dr. Hambach in die Rippen.
In der dunkleren Ecke der Nische, dort wo der Tisch stand, saß Marius Herbert und kämpfte mit dem Schlaf. Den grusinischen Kognak, den man ihm serviert hatte, rührte er nicht an. Mit schweren Lidern sah er auf Corinna und auf Neroschenko, der ihm einen kurzen Blick zuwarf.
»Warum ist der junge Bursche mitgekommen?« fragte er Ljudmila. »Ist er ein Medium?«
»Nein. Er hat Magenkrebs.«
»Und Corinna behandelt ihn?«
»Ja. Und sie liebt ihn. Ein Maler ist er. Ein begabter.«
»Sie haben nie bei sich selber die psychokinetischen Kräfte gespürt, Ljudmila Davidowna?«
»Nein. Nie! Nur Bewunderung für Papuschka war da.«
»Haben Sie noch viele Erinnerungen an Ihren Vater?«
»So, als käme er gleich dort durch die Tür.«
»Sie hatten nie das Gefühl, er sei tot?«
»Selten. Ich habe immer gedacht: Er ist weit weg, ist irgendwohin fortgegangen. Man müßte ihn eigentlich einmal wiedersehen. Plötzlich ginge die Tür auf, er stehe da in seinem bis zum Boden reichenden Mantel, breite die Arme aus und rufe mit seiner dunklen Stimme: ›Wer bringt sofort eine Tasse Tee? Ja, einen Durst habe ich …‹ So
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