Die strahlenden Hände
müßte es sein, dachte ich oft … und denke ich oft.«
»So ist es auch, meine Liebe«, sagte Neroschenko fast feierlich. »Neben Ihnen sitzt er … sieht nur aus wie Ihr Töchterchen … Oh, werden das Tage in Tscheljabinsk werden!«
»Was ist nun los?« flüsterte Dr. Hambach.
»Ich erzähle es dir später.« Doerinck beugte sich zu Neroschenko vor. So schaurig, wie Neroschenkos Deutsch war, so schrecklich mußte Doerincks Russisch jetzt klingen: »Was sind das für Experimente, Professor?«
»Wissenschaftliche.« Neroschenko polierte seine Glatze mit der Handfläche. Seine roten Zuckerbäckchen glänzten. »Revolutionen in der Psychokinese.«
»Gefährliche?«
»Wir brechen sofort ab, wenn es kritisch werden sollte. Mein Wort darauf.«
»Ich weiß nicht, was ihr sagt.« Corinna blickte vom Vater zur Mutter und dann zurück zu Neroschenko. »Aber ich nehme an, es geht um mich.«
»Besorgnis wird geäußert«, erklärte Dr. Latischew.
»So etwas habe ich geahnt.« Sie straffte sich und reichte Neroschenko ihre Hand: »Was man auch verlangt – ich mache alles mit! Ich will selbst wissen, wer ich bin.«
*
In der Nacht gelang es ihnen, Hellenbrand telefonisch zu erreichen. Zur großen Überraschung war Dr. Roemer, der nun drei Häuser hütete – das Zelt, das Doerinck-Haus und Dr. Hambachs Kate – sofort am Telefon. In Deutschland war es jetzt nach drei Uhr nachts. Roemers Stimme war so deutlich, als säße er neben ihnen; es dröhnte im Hörer, so brüllte er.
»Willbreit ist bei mir! Getreu seinem Ethos ist er hier aufgekreuzt, als er sicher war, euch nicht mehr anzutreffen. Jetzt besaufen wir uns an Mineralwasser, Sankt-Stephanus-Jauche Spätlese, extra trocken. Es gibt einen Grund zum Feiern: Meine Frau Elise hat die Scheidung eingereicht. Thomas hat die Klageschrift mitgebracht. Für mich als Jurist eine Wonne: Laut Schriftsatz muß ich ein wahres Scheusal sein. Ich werde dem nicht widersprechen! Mit der Staatsanwaltschaft habe ich auch telefoniert: Der Leitende Erste Staatsanwalt ermittelt wie ein Hund, der seinem eigenen Schwanz nachrennt. Ihm kommt die ganze Sache nicht geheuer vor, und ich habe ihm gesagt, wenn er unbedingt eine Karikatur seiner selbst werden will, soll er die Anzeige der Ärzteschaft gegen Corinna mit behördlichem Ernst und der gebotenen Objektivität behandeln. Ha! Willbreit verzieht sein männlich schönes Gesicht! Daß ich gesund bin, bringt ihn um! Zum Beweis habe ich vorhin mit Hilfe des Plattenspielers ein Solo hingelegt. Einen Rock! Sag Stefan, es täte mir leid – aber ich habe dabei einen Stuhl zertrümmert.«
»Was ist sonst passiert, Dr. Roemer?« fragte Corinna und lachte.
»Der Patientenstrom versiegte natürlich sofort, nachdem die Presse deine Moskaureise gemeldet hatte. Nur ein paar Unentwegte tauchen noch auf und fragen: ›Hat sie nichts hinterlassen? Ein Stück Papier, das sie angefaßt hat? Ein Handtuch, mit dem sie sich abtrocknete? Irgend etwas, was sie in der Hand hatte? Wir wollen es uns auf die kranken Stellen legen, vielleicht hilft es.‹ Da komme ich nun nicht mehr mit. Das nenne ich bekloppt! Das habe ich denen auch gesagt. Und was antworteten sie? ›Das können Sie nicht beurteilen. Sie waren nie krank …‹ Da habe ich zehn Blatt Papier zerknittert, in deinen Papierkorb geworfen, die Knäuel wieder rausgeholt und verteilt. Eine Frau - das habe ich gesehen – hat sich so'n Knäuel zwischen die Brüste geschoben. Total verrückt! Da wüßte ich Besseres. Kann man so etwas begreifen?«
»Ja!« sagte Corinna sehr ernst. »Manchmal hilft es sogar. Es gibt Heilungen durch den eigenen Geist, den eigenen festen Willen, den alles überströmenden Glauben. Alles ist möglich.«
»Ein Glück, daß Willbreit das nicht mithören kann; er fiele vom Stuhl! Corinna, wie sieht Moskau aus?«
»Ich habe nicht viel von der Stadt gesehen, kenne bis jetzt nur die Zufahrt zum Hotel, und im Hotel sind wir jetzt.«
»Vor drei Jahren war ich in Moskau«, schnaufte Roemer. »Wo ist Ewald?«
»Im Nebenzimmer.«
»Schade! Ich hätte eine Adresse für ihn: die Hausnummer 19 in der Babjegorodskij uliza. Ein Puff mit Tatarinnen. Grandios!«
Corinna legte auf. In Hellenbrand war offensichtlich alles in Ordnung.
*
Im Frühstücksraum, am nächsten Morgen, wartete schon die schöne Soja Igorowna. Dr. Hambach, trotz seiner fast siebzig Jahre munter wie ein Hahn, balzte galant: »Wenn der Morgen so anfängt, braucht man nicht auf die Nächte zu warten!« Er drückte
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