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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Die Aufregung der Reise, die Umstellung, das andere Klima … das kann viele Ursachen haben.«
    »Nein! Ich muß es doch am besten wissen.« Sie lehnte den Kopf gegen das Rückenpolster und blickte in den grenzenlosen blauen Himmel. »Es ist so.«
    »Du meine Güte …«, stammelte Marius. »Was nun?«
    »Ist was?« fragte Doerinck. Er saß, durch den schmalen Gang getrennt, auf der anderen Flugzeugseite. »Seht ihr was Besonderes?«
    »Nein, Papuschka.« Corinna dehnte sich und legte dann beide Hände in den Schoß. Neben ihr kaute Marius an der Unterlippe. »Ich freue mich nur auf alles Kommende.«

15
    Niemand hat einen Grund, traurig zu sein, wenn er Tscheljabinsk nicht kennt. Wer kommt schon nach Tscheljabinsk, wenn er nicht dahin muß?
    Swerdlowsk, etwas nördlich und größer, kennen dagegen viele. In Swerdlowsk lag einmal eine der Zentralen der sibirischen Gefangenenlager. Swerdlowsk war Drehpunkt der Transporte in die unendliche Taiga, und Orte wie Tjumen, Tobolsk und Tawda haben seit Jahrhunderten einen üblen Klang. Auch heute noch ist Swerdlowsks Name für Tausende ein Begriff; hier arbeitet eine der Hauptverwaltungen des GULAG, von hier aus werden die Straf- und Arbeitslager kontrolliert und zentral verwaltet.
    Tscheljabinsk am östlichen Rand des südlichen Urals war es gleichgültig, daß es im Schatten des berühmten Swerdlowsk lag. Es hatte, wie alle Städte in Sibirien, eine fabelhafte Neustadt mit Einheitsbauten sowjetischer Stadtarchitektur, Wohnblocks, nüchternen Häuserzeilen, breiten Straßen – Platz gibt es ja genug in Sibirien –, Oasen mit Bäumen und Ruhebänken, einem Volkspark, einem Theater, einer Menge Schulen, einem prunkvollen ›Haus des Volkes‹ und einem Sportstadion, das alle Wünsche erfüllte. Die alte Stadt, das in Schnee und Eis, Steppenwinden und Froststürmen gebleichte Tscheljabinsk mit seinen massiven Holzhäusern, den geschnitzten Fenster- und Türrahmen, den gemalten Gesimsen und durch Knüppelzäune abgeteilten Gärtchen starb langsam aus, wurde vom Modernen überrollt, ballte sich nur noch in den Außenbezirken und zu den Bergen hin. Denn auch in Tscheljabinsk hatte man sich jahrelang bemüht, den Fortschritt einzupflanzen, und dies bedeutete, daß die schönen alten Häuser langen, seelenlosen, gleichförmigen Mietskasernen weichen mußten.
    Außerhalb der neuen Stadt, wo die Straßen schon wieder, genau wie vor Jahrhunderten, zu ausgewalzten Wegen wurden, im Frühjahr sich bei der Schneeschmelze und im Herbst bei dem großen Regen in eine Schlucht aus Schlamm verwandelten, im Sommer in eine von Staubwolken vernebelte Piste und erst im Winter endlich in eine Art Straße, auf der man zwar langsam, aber mit festem, weil gefrorenem Boden unter den Füßen vorankam – hier draußen hatte man das Institut von Professor Neroschenko gebaut. Ein ganzer Gebäudekomplex aus Stahl, Beton und Isolierglas war es, von Mauern umgeben wie eine Festung. Am Einfahrtstor kein Schild, kein Hinweis, nur ein großer roter Stern. Hier arbeiteten 128 Wissenschaftler an einem auf der Welt einmaligen Forschungsauftrag, der auf eine totale Umwandlung unseres Weltbildes und unserer Dimensionen durch Psychokinese und Bio-Kommunikation hinauslief. Was in der Geschichte der Menschheit an PSI-Phänomenen bekannt geworden war oder in unserer Zeit bekannt würde, unterzog man hier einer gründlichen Auswertung.
    Die Turboprop-Maschine aus Moskau landete sicher auf der von einem eisigen Wind mit Schneestaub überzogenen Landepiste. Neroschenko klatschte fröhlich in die Hände. Moskau bedrückte ihn immer ein wenig, hier aber fühlte er sich zu Hause, glücklich und sogar frei. Moskau war weit, die Beamten der Akademie der Wissenschaften ließen ihn weitgehend in Ruhe; denn was im Institut von Tscheljabinsk wirklich erforscht wurde, verstanden die wenigsten. Geistig normale Beamte sagten sogar: »Die erforschen Geister und sprechen mit der Seele von Lenin!« Dabei tippten sie sich vielsagend an die Stirn. Ärgerlich fanden sie es, daß Neroschenko und seine Mannen mit Rubeln großzügig unterstützt wurden. Als ob bei den Forschungen wirklich etwas herauskäme!
    Mit den Bürokraten von Swerdlowsk und Tscheljabinsk hatte Neroschenko gar keine Schwierigkeiten. Für Swerdlowsk war er nur ein personifizierter Verwaltungsvorgang, der von Moskau dirigiert wurde, in Tscheljabinsk dagegen war er eine geehrte Persönlichkeit, ein großer Gelehrter, und man war ihm dankbar, daß er durch sein Institut

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