Die strahlenden Hände
Entzündungen und Zellveränderungen.«
»Das soll ein armes Juristengehirn verstehen!« Roemer schnaubte durch die Nase. »Da sagt man immer, die Juristensprache sei halbchinesisch. Aber die Mediziner! Die Mediziner! Begreifst du das, Thomas?«
»Ja.« Willbreit schlug die Beine übereinander. »Aber was der Kollege Hambach da erzählt, betrifft eine sogenannte Grenzwissenschaft. Eine Lehre, die mehr auf Hypothesen aufgebaut ist als auf Beweisen und Tatsachen. Bio-Energie! Was ist das? Akademisch ein Schlagwort, mehr nicht. Wir müssen doch von der Realität ausgehen: Da ist ein Kolonkarzinom – das ist sicher. Man muß es, wenn es noch nicht inoperabel ist, operieren. Auch das ist sicher. Ist eine Operation unmöglich, bleibt nur die konservative Behandlung übrig, das heißt, im Endstadium die Schmerzbekämpfung bis zum exitus. Bei erfolgreicher Operation kommt die Nachbehandlung durch Strahlentherapie hinzu, vielleicht auch durch Chemotherapeutika.«
»Und schon ist die Schulmedizin mit ihrer Weisheit am Ende«, sagte Hambach ruhig. Willbreit sah ihn pikiert an.
»Alles hat Grenzen. Sonst lebten wir ewig …«
»Es wäre für Sie undenkbar, daß eine bio-energetische Strahlung, ein Kraftfeld des Bio-Plasmas, die Krebszellen vernichtet, austrocknet, verödet, die Entartung der Zellen stoppt und biologisch ausbalanciert?«
»Völlig unmöglich!« Willbreit lächelte mokant. »Da kapituliert selbst der liebe Gott.«
»Oder der Mensch hat noch nicht begriffen, daß der liebe Gott ihm mehr Macht in die Hand gegeben hat, als er glaubt.«
»Trotz der Katastrophe bei Frau Doerinck hegen Sie noch immer Sympathie für dieses Brimborium?«
»Gerade deswegen.« Dr. Hambach ging zu seinem Schreibtisch, nahm ein paar Röntgenbilder auf und kam zurück. Willbreit zog die Brauen hoch. Roemer kratzte sich den dicken Nasenrücken. Mediziner unter sich – eine Plage war das! Wenn in einem Prozeß die Sachverständigen auftraten und sich die einander widersprechenden Argumente um die Ohren schlugen, wunderte sich Roemer jedesmal, daß es in der Medizin möglich war, völlig konträre Diagnosen zu stellen. Als eine Fundgrube erwiesen sich da die Psychiater; wenn Roemer sich deren Argumente anhörte, glaubte er manchmal, selbst ein Idiot zu sein. Bei Prozessen, in denen es um chirurgische Kunstfehler ging, wurde es ganz schlimm. Da schwor Roemer hinterher, sich nie operieren zu lassen. »Wenn man hört, was da möglich ist«, sagte er einmal zu seinem Freund Willbreit. »Ihr seid ja vielleicht Künstler! Da geht man ins Krankenhaus, um sich einen Bruch operieren zu lassen – und sobald man aus der Narkose erwacht, sind die Hoden weg!«
Hambach hielt jetzt eine der Röntgenaufnahmen in die Sonne. Willbreit stand auf. Auch Roemer erhob sich seufzend und zuckte zusammen, als der Sessel unter ihm knackte.
»Diese kennen Sie, Herr Professor«, sagte Hambach. »Aus Ihrer Klinik.«
»Das Kolon-Ca von Frau Doerinck«, nickte der Chirurg.
»Sieht ja scheußlich aus!« Roemer räusperte sich. »Das sehe ich sogar.«
»Auch dieses Bild ist Ihnen bekannt.«
Eine andere Aufnahme, seitlich verschoben. Alarmierend und zugleich deprimierend.
»Ja.«
Die dritte Aufnahme. Hambach hielt sie voll ins Licht. Willbreit streckte den Kopf vor. Dann warf er einen Seitenblick auf Hambach.
»Da ist Ihnen eine fremde Aufnahme dazwischengerutscht, Herr Kollege. – Ein sauberes Kolon …«
»Sie sprechen es klar aus.« Hambach reichte die Aufnahme an Dr. Roemer weiter, der nur sah, daß der Darm anders wirkte als der vorherige. »Frau Doerinck nach der bio-energetischen Behandlung durch ihre Tochter Corinna.«
»Das ist doch ein Witz!« Willbreit riß das Foto aus Roemers Hand und trat näher ans Fenster, in die volle Sonne. »Ein Taschenspielertrick!«
»Diese Form der Diskussion verbitte ich mir«, sagte Hambach steif.
»Das ist doch unmöglich!« Willbreits Stimme war etwas schrill. »Wenn das der Darm von Frau Doerinck ist, dann …«
»Was dann, Herr Professor?«
»Die Medizin läßt sich nicht auf den Kopf stellen.«
»Es ist vieles möglich. Ungeahntes. Rätselhaftes. Unfaßbares. Sie halten den Beweis gerade in die Sonne.«
»Ohne Sie beleidigen zu wollen oder den Kollegen, der diese Aufnahmen gemacht hat – aber ich möchte Frau Doerinck noch einmal bei mir röntgen!«
»Wenn sie zustimmt – bitte. Die Entscheidung liegt ganz bei ihr.«
Willbreit ließ das Röntgenbild sinken. »Wann fahren wir zu ihr?«
»Sofort. Ich
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