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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Ford bis morgen mittag gemietet.«
    »Was hat er?« Willbreit beugte sich zu dem Mann im Overall hinunter. Er spürte plötzlich sein Blut in den Schläfenadern ticken. »Er hat einen Wagen gemietet?«
    »Einen Ford. Ja.« Der Mann griff in die Tasche seines Overalls und holte eine Geschäftskarte hervor. »Wenn Sie auch mal einen brauchen, Herr Willbreit: Sinsemann und Sohn, Leihwagen und Werkstatt. Wir sind immer um ein paar Mark billiger als die großen Firmen.«
    »Danke.« Willbreit nahm die Visitenkarte, steckte sie ein und war sichtbar verwirrt. Roemer stellt seinen geliebten Prunkwagen ab und mietet sich einen Ford? Was soll denn das? Wo will er denn mit dem Leihwagen hin? Ein Roemer mietet sich einen für ihn kleinen Wagen, da stimmt doch etwas nicht! »Wo wollen Sie jetzt hin mit dem Wagen?«
    »In die Halle. Hab' ihn nur kurz rausgesetzt, um drinnen zu rangieren. Wenn's Sie so interessiert: dort, die Toreinfahrt hinein. Dahinter liegt der große Hof und steht die Halle.«
    Willbreit schüttelte den Kopf, trat zurück und wartete, bis Roemers Wagen durch die Einfahrt verschwunden war. Über dem Tor sah er nun das Schild: Sinsemann und Sohn, Leihwagen, Autowerkstatt, Karosseriebau, Einbrennlackierungen.
    Das darf nicht wahr sein, dachte Willbreit. Der Gedanke, der ihn plötzlich durchzuckte, lud ihn wie mit Elektrizität auf. Nein, das kann nicht sein! Erasmus, auch wenn du jetzt verzweifelt bist – laß diesen Blödsinn sein. Das kannst du doch nicht tun. Man kann keine Stauungsleber wegstreicheln. Nein, das kann man wirklich nicht! Wir wissen ja noch nicht mal ganz genau, warum sich kollagenes Bindegewebe bildet. Erasmus, dieses Mädchen ist eine Gefahr für uns alle!
    Er lief zu seinem Wagen zurück, warf sich in den Sitz und griff nach dem Autotelefon. »Was gibt es?« fragte er und bemühte sich, seinen fliegenden Atem zu beherrschen. »Etwas Besonderes?«
    »Das Lungen-Ca auf Zimmer 19 ist gestorben.« Die Sekretärin in der Uni-Klinik berichtete es mit der gewohnten Nüchternheit. »Dr. Brandes war bei ihm. Sonst nichts Besonderes, Herr Professor.«
    »Danke. Sagen Sie Oberarzt Dr. Gablonz, ich ließe ihn bitten, für mich die Abendvisite zu machen. Ich bin aufgehalten worden und weiß nicht, ob ich pünktlich zurückkomme. Ich rufe von außerhalb an.«
    »Können wir Sie erreichen, Herr Professor?«
    »Kaum. Nicht vor dem Abend. Es läuft ja alles bestens im Haus, nicht wahr?«
    »Wie immer, Herr Professor.«
    »Danke, Täubchen.« Willbreit legte auf. Auf Erna Taube, genannt Täubchen, konnte man sich verlassen. Sie war seit zwanzig Jahren Chef des Vorzimmers der Chirurgie; Professor Hellbrecht, der Ordinarius, hatte mal gesagt: »Wenn ich Täubchen nicht hätte, wäre ich noch Stationsarzt.« Das war zwar übertrieben, aber in einem Klinikbetrieb ist eine vorzügliche Sekretärin wie ein Schmiermittel, das den großen Motor reibungslos laufen läßt.
    Willbreit gönnte sich im Wagen noch eine Zigarette und damit ein paar Minuten intensives Nachdenken. Was will ich jetzt in Hellenbrand, überlegte er. Roemer aus den Fängen dieses Mädchens herausholen? Erneut in eine völlig fruchtlose Diskussion eintreten? Habe ich das nötig? Wenn Roemer sich bestreicheln lassen will, ist das sein ureigenstes Privatvergnügen. Er verweigert eine Operation – da kann ihm keiner mehr helfen. Rein vom Moralischen her sollte man ihm gönnen, daß er in einen Glauben flüchtet, auch wenn's ein Irrglauben ist. Für eine kurze oder auch längere Zeit wird ihn das glücklich machen, hoffnungsfreudig, seelisch aufrichten – bis dann der schreckliche Zusammenbruch kommt. Hoffentlich wird es nur ein kurzes Leiden. Tritt das Koma frühzeitig ein, ist das Schicksal gnädig mit ihm.
    Trotzdem fuhr Willbreit zur Autobahn und nahm die Richtung Nottuln. Dort verließ er sie und fuhr weiter nach Havixbeck. Bei Lasbeck bog er auf die schmale Landstraße ab. Und je näher er Hellenbrand kam, um so langsamer ließ er seinen Wagen rollen, bis er unter einer Ulmengruppe anhielt und stumm über das weite, leicht gewellte, in der Sonne glänzende Bauernland starrte.
    Was ist eigentlich los, dachte er. Wie weit ist Professor Willbreit gekommen? Sitzt hier unter Bäumen am Rande einer Landstraße, von einem Weibsstück magisch angezogen, anstatt es zu ignorieren und sich zu sagen: Es gibt soviel Verrücktheiten auf der Welt, warum soll es nicht auch eine Corinna geben? Der eine kauft sich eine fettbeschmierte Badewanne von Beuys,

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