Die strahlenden Hände
den ganzen Nachmittag in der Scheune sitzen, auf einem morschen Hauklotz, den sie in die Mitte des weiten Raumes rollte.
Von da an fuhr sie öfter zur Scheune, saß in dem kahlen, schimmelnden Raum und fand hier die Ruhe, über vieles nachzudenken, was sie beschäftigte. Zum Beispiel über die Katze. Sie war eines Tages in die Scheune gekommen, eine magere, knochige streunende Katze, mit einem Geschwür auf dem Rücken. Sie strich um Corinna herum und legte sich ihr dann vor die Füße. Corinna hatte die Katze gestreichelt, und immer, wenn sie mit dem Rad zur Scheune fuhr, war auch die Katze da und ließ sich streicheln. Beim viertenmal war das Geschwür verschwunden. War weggetrocknet bis auf einen Grind, der später abfiel. Und mit dem Schimmel war es ähnlich: Wo sie die Balken berührt hatte, schrumpfte der Schimmel ein und vertrocknete. Es war schon merkwürdig …
Von der Stadt, die den Hof von Schulte-Haffnung als Erbe verwaltete, weil es sonst keine Erben mehr gab, kaufte Doerinck die Scheune ab. Er bekam sie billig, gewissermaßen zum Abbruchwert. Aber die Hellenbrander hatten für Wochen Gesprächsstoff: Der Lehrer hat die Geisterscheune gekauft. Ausgerechnet der! Mit seiner russischen Frau – wo doch die Russen den Philipp erschlagen und verbrannt haben. Mit Frau und Sohn. Und nun kauft der die Scheune. Sieh mal an! Wenn's einen Teufel gäbe, war der mit im Spiel!
Ein paar Tage später klebte an der Scheunentür ein grob gemaltes Pappschild. ›Russen-Kate‹ stand darauf. Der Dorfpolizist fotografierte und entfernte es, und natürlich kam nie heraus, wer das Schild gemalt und angenagelt hatte. Corinna aber nahm den Kampf auf. Sie nagelte ein anderes Schild über die Tür und darauf stand: ›Datscha‹. Wen wundert es: die Empörung war groß.
»Du solltest mal mit deiner Tochter reden«, hatte ein paar Tage später der Rektor der Schule zu seinem Kollegen Doerinck gesagt. »Ich will mich da nicht einmischen … aber als Tochter des Konrektors … und du bist beliebt, Stefan …«
»Meine Tochter ist achtundzwanzig Jahre alt«, hatte Doerinck geantwortet. »Sprich selbst mit ihr.«
Dabei blieb es, und wie immer im Leben war nach einigen Wochen alles vergessen und das Erregende normal geworden. Ein Bauunternehmer aus Billerbeck baute die Scheune um, und als man einen neuen Estrich verlegte und dazu den Boden etwas auskofferte, stieß man auf eine vergrabene Stahlkassette. Sie enthielt den gesamten Schmuck der Elfriede Schulte-Haffnung, immerhin heute rund 50.000 DM wert, wie ein Experte schätzte. Im Rathaus von Hellenbrand freute man sich, denn der Fund gehörte der Stadt. Die Leute aber sagten: »Nu is hä weg, der Philipp. Hä hat seinen Schmuck bewacht. Dat wohr es …« Diese Ansicht konnte auch der Pfarrer nicht ändern. Merkwürdig war nur, daß wenig später im Rathaus ein Feuer ausbrach, das man aber schnell löschen konnte. Nur die Brandursache wurde nie geklärt.
Corinna schloß die Augen und drückte die Stirn gegen das Fensterkreuz. Mit einem inneren Zittern beobachtete Roemer, wie sie die langen schlanken Hände zusammenlegte, so, wie man es von dem berühmten Kupferstich Dürers kennt.
»Stehen Sie auf!« sagte Corinna plötzlich. Ihre Stimme klang jetzt völlig fremd und zerschnitt die qualvolle Stille so laut, daß Roemer hochzuckte. Der Schemel unter ihm fiel polternd um. Er spürte seinen Herzschlag bis in die Kehle, und jeder seiner Atemstöße war von einem leisen Pfeifen begleitet.
»Ich … ich stehe …«, stotterte er.
Sie drehte sich vom Fenster weg, kam langsam, die Hände noch immer aneinandergelegt, auf ihn zu, und ihre schwarzen Augen schienen Roemer zu durchglühen. Ihm wurde heiß, von den Zehen bis unter die Kopfhaut, aber es war keine Hitze wie damals auf Bali, im Urlaub, wo ihm der Schweiß aus den Poren floß, als habe er tausend Kränchen im Körper – nein, es war eine seltsame, erregende Hitze, in die man sich mit geschlossenen Augen und mit einem Gefühl der Wonne hineinwerfen konnte.
Ganz nahe kam Corinna heran, ein kleines, zierliches Wesen gegen diesen Berg aus Fleisch. Sie hob die rechte Hand, ließ sie über seinen Leib gleiten, streichelte die Luft, die zwischen ihr und diesem Körper lag, immer und immer wieder, mit leicht vibrierenden, aneinandergepreßten Fingern, leicht gewölbt. Ihre Hand war wie eine flache Schale, wie ein winziger Parabolspiegel, der unsichtbare Strahlen aussendet und aufnimmt.
Roemer stand wie versteinert, nur seine Zähne
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