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Die Strasse des Horus

Die Strasse des Horus

Titel: Die Strasse des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Aahmes-nofretari?«
    »Wir hatten keine andere Wahl«, antwortete ihre Tochter schroff. »Die Last auf unseren Schultern war unerträglich. Früher oder später wird er merken, dass wir eine Regierungshierarchie geschaffen haben, wie Ägypten sie seit Hentis nicht mehr gehabt hat, eine volle Rückkehr zur Maat, aber noch sieht er es nicht. Er ist noch immer ein Kriegerkönig, auch wenn der Krieg fast vorbei ist.«
    »Er möchte nicht hier sein«, sagte Aahotep leise. »Das macht er sich zwar vor, aber irgendetwas in ihm sehnt sich danach, mit dem Heer im Land auf und ab zu ziehen, damit er sich niemals den verstörenden Pflichten der Göttlichkeit stellen muss. Darin gleicht er Kamose sehr.«
    »Nein.« Aahmes-nofretari blickte auf die kleinen Lapislazulisteine auf ihren Sandalen. »Er ist völlig anders als Kamose, aber der Schatten seines Bruders liegt noch immer über ihm. Und der hebt sich erst, wenn sich Apophis ergibt.«
    An diesem Abend zog sich Aahmes-nofretari nach dem Festmahl im fackelerhellten Garten mit Gelächter und Geplauder, mit Glückwünschen und Liedern und munteren Späßen so widerstrebend zurück, dass sie beunruhigt war. Als sie Ahmose darum bat, hatte er mit einem fragenden Blick reagiert, hatte ihr das Knie getätschelt und gesagt, natürlich, es wäre ein langer Tag gewesen und sie müsse müde sein.
    Senehat wartete auf sie, um sie zu entkleiden und zu waschen. Ihre Lampen erhellten den Raum mit stetigem, friedlichem Schein. Die Bettlaken dufteten sacht nach Lotus, in den sich ein Hauch des Weihrauchs mischte, den sie an diesem Morgen vor ihrem Hathor-Schrein geopfert hatte, und auf einmal wurde sie traurig. Sie ging nicht mehr ins Kinderzimmer, um sich kurz Hent-ta-Hents schlafendes Gesicht anzusehen, während sie den Zauberspruch flüsterte, der den Dämon Sie-deren-Gesicht-nach-hinten-gewandt-ist davon abhalten würde, der Kleinen den Atem zu rauben. Dieses böse Wesen hatte nicht gesiegt, sondern es waren andere Bewohner der unsichtbaren Welt gewesen, die sich durch die Nasenlöcher, den Mund und die winzigen Ohren des kleinen Mädchens eingeschlichen und dort festgesetzt und das Fieber entzündet hatten, an dem Hent-ta-Hent gestorben war.
    Er hat darüber kein Wort verloren, dachte Aahmes-nofretari, als Senehats kundige Hände ihr die Perücke vom Kopf nahmen und ihr das dunkelrote Hemdkleid über die Hüfte zogen, bis es als schimmerndes Häuflein auf dem Boden lag. Er hat gar nichts gefragt. Er hat kein Mitgefühl geäußert. Es war, als hätte es unsere Tochter nie gegeben. Was soll ich mir bei so viel Vernachlässigung denken? Ist seine eigene Wunde so tief, dass er nicht darüber reden kann, oder ist er einfach zu ehrlich und leugnet seine Gleichgültigkeit nicht?
    Sie saß da, während ihre Leibdienerin heißes Wasser brachte und ihr das Henna von Handflächen und Fußsohlen wusch, die Schminke entfernte und dann eine Salbe aus Honig und Kastoröl auflegte. Ihr Haar wurde gekämmt. Hölzern stand Aahmes-nofretari auf, damit Senehat ihr das Nachtgewand über den Kopf streifen konnte, doch als die Dienerin die Lampen löschen wollte, gebot Aahmes-nofretari ihr Einhalt. »Ich gehe in die Gemächer meines Gemahls«, sagte sie und war selbst ganz erstaunt über ihren Einfall. »Hole deinen Strohsack vom Flur und schlafe neben meinem Lager, bis ich zurück bin.« Es war schon spät, und die Aufforderung, auf die sie gewartet hatte, war nicht gekommen. Ich sollte einfach zu Bett gehen und diesen ganzen enttäuschenden Tag vergessen, dachte sie aufmüpfig, doch an Schlaf ist ohnehin nicht zu denken, also kann ich genauso gut meinen Stolz hinunterschlucken und zu ihm gehen.
    Senehat bückte sich mit einem Paar Binsensandalen in der Hand, und Aahmes-nofretari hob schon einen Fuß, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss, der sie abkühlte. Vielleicht habe ich eine Rivalin. Vielleicht hat sich Ahmose in irgendein Mädchen verliebt, das er auf dem Weg nach Norden kennen gelernt hat, eine Fürstentochter, eine Sängerin oder Tänzerin aus einem der Tempel, in denen er gebetet hat. Schließlich hat er meinen Leib sechs Monate entbehren müssen. Er ist der König. Er kann Nebenfrauen in sein Bett befehlen. Er kann sich, wenn er will, weitere Gemahlinnen nehmen, und nur weil unsere Herzen und Hirne seit Kinderzeiten harmonisch übereinstimmen, heißt das noch lange nicht, dass es immer so sein muss.
    Aber nein, liefen ihre Gedanken weiter. Ahmose hat nie mit einer anderen Frau geliebäugelt.

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