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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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sah.
    Dann hörte ich die Musik. Fesselnd, lockend wehte sie durch die Schatten zu mir hinüber. Es war ein Stück, das ich nicht kannte, es ähnelte der Komposition Alexanders, die ich im Traum gespielt hatte und war mir ebenso wie diese seltsam vertraut. Aber während bei jenem anderen Stück nur Schatten unter der sonnigen Oberfläche waberten, wohnte diesem eine Furcht einflößende düstere Finsternis inne. Je länger ich lauschte, desto eindringlicher wurde die wehmütige Melodie, und ich begann mich schuldig zu fühlen, weil sie sicherlich nicht für meine Ohren bestimmt war. Was ich da hörte, waren die in Musik gefassten Seelenqualen eines gebrochenen Herzens.
    Ehe mich der Mut vollends verließ, trat ich auf den offenen Fensterflügel zu, wo ich einmal mehr von der anmutigen Eleganz von Alexanders Rücken- und Schulterlinien gefangen genommen wurde. Eine kleine Lampe auf dem Klavier bildete die einzige Lichtquelle im Raum und tauchte sein von dunklem Haar eingefasstes klar geschnittenes Profil in einen warmen Schein. Ich hob eine Hand, zögerte, als mein Herz wild zu hämmern begann, und klopfte dann leise auf das Fensterbrett.
    Alexander zuckte von dem Instrument zurück, als habe er sich an den Tasten verbrannt, doch als er sich dann langsam zu mir umdrehte, blickten seine Augen ruhig und gelassen. Ich lächelte zaghaft, und als er das Lächeln erwiderte, vergaß ich den Regen, der mein Haar durchweichte und mir in die Augen rann. Er bedeutete mir mit einer flüchtigen Geste, zur Tür zu kommen, half mir aus meinem nassen Mantel und fragte mich, ob etwas passiert sei. Seine Blässe verriet mir, dass ich ihm einen größeren Schreck eingejagt hatte, als er mich wissen lassen wollte.

    »Es ist alles in Ordnung«, versicherte ich ihm plötzlich befangen. »Ich … nun, ich weiß, dass es schon spät ist, aber mir ging so viel im Kopf herum, ich konnte nicht schlafen, und ich wollte nicht allein sein, und da … ich hoffte, Sie wären noch auf …«
    Er forschte einen Moment lang in meinem Gesicht. »Also leide nicht nur ich hier unter chronischer Schlaflosigkeit. Sie sind natürlich zu jeder Zeit willkommen, auch wenn Sie vielleicht besser daran getan hätten, sich für Ihren Besuch eine etwas weniger unfreundliche Nacht auszusuchen.«
    »Das hätte ich allerdings. Alexander … ich habe Sie eben spielen hören. Hoffentlich störe ich Sie nicht … es ist unverzeihlich, mitten in der Nacht einfach vor der Tür zu stehen…«
    Er wandte sich vom Licht ab; vielleicht, um ein sarkastisches Lächeln zu verbergen. Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit, als er antwortete: »Was Sie gehört haben, war nichts als gottverdammtes, in Töne gefasstes Selbstmitleid.« Er sah mich wieder an. Der Lampenschein spiegelte sich in seinen dunklen Augen wider. »Es überkommt mich oft in Nächten wie dieser.« Er zuckte die Achseln, dann betrachtete er mich genauer. »Sie zittern ja.«
    »Mir fehlt nichts«, versicherte ich ihm hastig.
    »Kommen Sie.« Er umfasste meinen Ellbogen und führte mich zum Arbeitszimmer zurück. Ich warf einen Blick auf die gemalten Gesichter der Zwillinge, ehe ich mich auf den Stuhl sinken ließ, den er mir anbot. Er schloss das Fenster und reichte mir eine Decke, die ich mir dankbar um die Schultern schlang.
    »Trinken Sie Brandy?«, fragte er.
    »Ab und zu.« In Wahrheit hatte ich noch nicht gelernt, etwas Stärkeres als Tischwein ohne sichtbare Überwindung herunterzubringen, aber ich wäre lieber gestorben, als das zuzugeben.

    Er nahm eine Karaffe von einem mit Büchern mit kyrillischen Titeln, wunderschön und unlesbar wie Runen, vollgestopften Schrank, füllte zwei Gläser mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit und reichte mir eines davon, dann setzte er sich mir gegenüber auf einen zweiten Stuhl. Dabei sah er mich so eindringlich an, dass ich keine unverbindliche Unterhaltung in Gang zu bringen vermochte.
    Ich nippte an meinem Brandy, wobei ich Mühe hatte, mich an dem scharfen Getränk nicht zu verschlucken, das in meiner Kehle wie Feuer brannte. »Alexander…«, begann ich, nachdem ich das Glas zur Seite gestellt hatte.
    »Sagen Sie jetzt nichts«, bat er. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe Ihnen gestern etwas zum Vorwurf gemacht, worauf Sie nicht den geringsten Einfluss hatten und worauf Sie genauso wenig vorbereitet waren wie ich. Ich habe meinem Schreck und meinem Ärger freien Lauf gelassen, und Sie waren die Leidtragende. Dazu habe ich leider einen

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