Die Straße nach Eden - The Other Eden
in eine Handfläche und versuchte, meine Fassung zurückzugewinnen. Mir war heiß, zu heiß, um es nur auf die warme Nacht zu schieben.
Die Lichter des Hauses, die über den Rasen fielen, bohrten sich wie Messer in meine Augen.
»Es war schrecklich«, flüsterte ich. »Und so wirklichkeitsgetreu, als wäre ich tatsächlich dort gewesen. Aber das kann doch gar nicht sein, oder?«
»Lasst uns hineingehen«, schlug Mary vor. »Ich koche Tee, und dann erzählst du uns von diesem Traum.«
Ich nickte. Alexander geleitete mich zu einem Sessel in der Bibliothek. Als Mary zurückkam, hatte ich mich schon ein wenig beruhigt. Während ich an meinem Tee nippte, berichtete ich ihnen in allen Einzelheiten von meinem Traum.
Als ich geendet hatte, war Alexanders Miene sehr ernst
geworden. »Ich weiß, dass du das nicht gern hörst, Eleanor, aber ich glaube wirklich, Eden ist nicht der richtige Ort für dich. Er jagt dir Angst ein, das sehe und spüre ich, und ich begreife einfach nicht, warum du so hartnäckig darauf bestehst hierzubleiben.«
Mary musterte mich forschend. Die feinen Linien, die mir früher an diesem Abend in ihrem Gesicht aufgefallen waren, hatten sich vertieft. »Ich muss Alexander zustimmen, Eleanor«, sagte sie. »Seit wir hier sind, bist du überreizt und fährst wegen jeder Kleinigkeit aus der Haut. Du verschläfst ganze Tage und tigerst nachts in deinem Zimmer auf und ab. Vielleicht übt dieser Ort auf uns alle einen unguten Einfluss aus.«
»Das darf doch nicht wahr sein!«, brauste ich auf. »Ihr behandelt mich beide wie einen Invaliden - nein, schlimmer noch, wie ein unmündiges Kind! Ihr könnt ja gehen, wenn ihr wollt, aber ich bleibe hier! Vorerst jedenfalls!«
»Um Himmels willen, Eleanor!« Jetzt wurde auch Alexander allmählich ärgerlich. »Du musst doch inzwischen selbst eingesehen haben, dass deine Herumstocherei in der Vergangenheit deiner Familie dir das Leben zur Hölle macht!«
Ungehalten wischte ich die in meinen Augen brennenden Tränen weg. »So, findest du? Meine gesamte Familie ist tot! Ich besitze noch nicht einmal ein Foto von meiner Mutter. Ich weiß nicht, was für ein Mensch sie war und wieso ihre Schwester und sie getrennte Wege gegangen sind. Mein ganzes Leben lang hat jeder nur versucht, das alles von mir fernzuhalten. Und solange ich nicht weiß, was damals geschehen ist, weiß ich auch nicht, wer ich bin!«
Alexander und Mary sahen mich an, während meine Worte im Raum hingen, dann tauschten sie einen verstohlenen Blick. Einen Moment später erhob sich Mary. Auch in ihren Augen schimmerten Tränen.
»Du weißt, dass ich so lange hierbleibe, wie du mich brauchst«, sagte sie. »Aber an einem Ort, der dir nur Kummer und Leid bereitet, kann ich nicht glücklich sein.«
Ich schüttelte den Kopf, da ich meine impulsiv hervorgestoßenen Worte bereits bereute. »Ich weiß, Mary. Es tut mir leid.«
»Das braucht es nicht. Ich hätte selbst sehen müssen, was das alles für dich bedeutet.« Sie küsste mich auf die Wange. »Kann ich noch irgendetwas für dich tun?«
»Nein, danke. Mir fehlt weiter nichts.«
Sie sah Alexander an, dann schenkte sie mir ein letztes Lächeln. »Na, dann gute Nacht, ihr beiden.«
»Glaubst du, er entspricht der Wahrheit?«, fragte ich Alexander, sowie sie den Raum verlassen hatte.
»Was meinst du?«
»Den Traum. Glaubst du, dass Eve etwas Furchtbares getan hat und wir alle darin verstrickt sind?«
Er verflocht mit einem leisen Lächeln seine Finger mit den meinen. »Es war ein Traum, Elenka. Sonst nichts. Und was die Vergangenheit betrifft - lass sie ruhen, für den Moment jedenfalls. Es ist schon fast Morgen.« Ich blickte zu dem bogenförmigen Fenster hinüber. Am Nachthimmel funkelten immer noch Sterne, doch im Osten zeigte sich bereits ein erster rötlicher Schimmer. »Komm, ich bringe dich noch in dein Zimmer. Ich ziehe dann einfach die Tür hinter mir zu, wenn ich gehe.«
Ich wandte mich vom Fenster ab. Alexander musterte mich. Er schien mit sich zu ringen. Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn. Nach einer Weile machte er sich von mir los und seufzte tief, als habe er eine Entscheidung getroffen.
»Ich bringe dich in dein Zimmer«, wiederholte er weich. »Aber nur, wenn du ganz sicher bist.«
»Ich war mir schon sicher, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe«, erwiderte ich leise.
Alexander sah mich einen Moment lang eindringlich an. Dann nahm er meine Hand, und wir schlichen auf Zehenspitzen die Treppe hoch. In meinem Zimmer
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