Die Straße nach Eden - The Other Eden
bekommst.«
Sein Tonfall kam milder Herablassung entschieden zu nah. »Ein Geheimnis ist immer schwerer zu ertragen als die Wahrheit«, versetzte ich knapp.
Die Sonne war inzwischen untergegangen, der Himmel schimmerte tiefblau, die Zypressen warfen lange Schatten über den Boden. Das Haus auf dem Hügel war unseren Blicken wieder entzogen.
Alexander wandte sich seufzend vom Wasser ab. »Dann komm mit«, forderte er mich auf und ging auf sein Cottage zu.
Tascha war bei Mary im Herrenhaus, also bestand keine Gefahr, dass uns jemand störte. Alexander schaltete die Lampen im Arbeitszimmer an, füllte zwei Gläser mit Wein und reichte mir eines davon. Er nippte an seinem eigenen Glas, ehe er zu sprechen begann.
»Ich bin Dorian Ducoeur zum ersten Mal vor fünfzehn Jahren in St. Petersburg begegnet. Ich habe damals zahlreiche Konzerte gegeben, die natürlich genauso zahlreiche Feste und Empfänge nach sich zogen.« Ein schiefes Lächeln verzerrte sein Gesicht.
»Eines Tages fiel er mir auf. Das klingt eigenartig, ich weiß, aber anders kann ich es nicht erklären. Niemand hat uns einander vorgestellt, und ich kann ihn auch nicht mit irgendeinem bestimmten gesellschaftlichen Ereignis in Verbindung bringen. Aber immer wenn ich nachts durch die Straßen ging, spät abends ein Fest verließ oder ein Kaffeehaus betrat, erhaschte ich einen Blick auf ihn. Er war immer allein, immer untadelig und kostspielig gekleidet,
und er sorgte immer dafür, dass ich ihn sah, bevor er wieder verschwand.«
Alexander hielt inne und holte tief Atem, ehe er fortfuhr: »Anstandshalber muss ich hinzufügen, dass ich damals mit einer Frau liiert war, einer sehr bekannten Balletttänzerin.«
»Wenn das der einzige Grund dafür ist, dass du mir diese Geschichte so hartnäckig verschwiegen hast…«, begann ich, doch er brachte mich mit einem Blick zum Schweigen.
»Anna verstand es meisterhaft, die Geheimnisvolle zu spielen, deshalb betörte sie mich wohl stärker, als mir lieb war. In diesem Punkt war Dorian ihr sehr ähnlich. Er pflegte wie aus dem Nichts aufzutauchen und wieder zu verschwinden, und er schien mich und meine Gewohnheiten genau zu kennen, während ich meinerseits nichts über ihn wusste. Er begann mich regelrecht heimzusuchen; nicht so, wie Eve dich heimsucht, sondern es war eher so, dass meine Gedanken gegen meinen Willen immer häufiger um ihn kreisten.« Er brach ab, um mir nachzuschenken. Sein eigenes Glas hatte er kaum angerührt.
»Einige Male machte ich Anstalten, ihn anzusprechen, aber es gelang ihm immer, sich davonzumachen, ehe ich ihn zu fassen bekam. Die offenkundige Absicht, die dahintersteckte, trieb mich fast zum Wahnsinn. Er lächelte mich immer an, als würde er mich wiedererkennen, und achtete darauf, dass ich seine Gegenwart zur Kenntnis nahm, ehe er sich in Luft aufzulösen schien.« Alexander schüttelte leicht den Kopf, als könne er immer noch nicht begreifen, was sich damals abgespielt hatte.
»Ich zog Erkundigungen über ihn ein, aber keiner meiner Freunde konnte mir etwas über ihn sagen. Einige dachten sogar, er wäre nur ein Produkt meiner Fantasie, nicht aber Anna. Sie lachte und tat so, als wäre sie eifersüchtig, aber
ich merkte ihr an, wie sehr dieser geheimnisvolle, nicht greifbare Fremde sie faszinierte.
So ging es monatelang weiter. Dann schlenderte ich eines Abends im dichten Schnee am Fluss entlang, und als ich aufblickte, ging er neben mir - so selbstverständlich, als würden wir uns schon ein Leben lang kennen. Kaum hatte ich das gedacht, da sagte er: ›Mir kommt es auch so vor.‹<
Er sprach fließend Russisch, allerdings mit einem un überhörbaren französischen Akzent. ›Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle‹, fuhr er fort. ›Mein Name ist Antoine Fontainebleau, ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Kunst.‹«
»Antoine Fontainebleau?«, wiederholte ich ungläubig.
»Ein falscher Name«, bestätigte Alexander. »Aber seine Absichten kamen mir an jenem Abend völlig harmlos vor. Das ist seine hervorstechendste Eigenschaft, Eleanor. Er schlägt die Menschen in seinen Bann. Auch ich konnte mich seinem seltsamen Zauber nicht entziehen.« Die letzten Worte stieß er mit tiefer Bitterkeit hervor, doch als er weitersprach, klang seine Stimme ruhig und gelassen.
»Er erzählte mir, er wäre Kunstlehrer, stamme aus Paris und sei für ein paar Monate nach St. Petersburg gekommen, um die prächtigen alten Bauwerke zu studieren, von denen es in dieser Stadt nur so wimmelte. Wir
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