Die Straße nach Eden - The Other Eden
brannten auch meine Wangen. »Mary, bitte…«
»Aber du kannst sicher sein, dass viele Leute da ganz anderer Meinung sein werden - dass sie dich aufs Schärfste verurteilen werden. In Boston beispielsweise…«
»Mary, wir haben uns verlobt.« Ich zog meine Hand unter dem Tisch hervor. Der Diamant glitzerte in der Morgensonne.
Ich hatte mit vielen Reaktionen auf diese Enthüllung gerechnet, aber nicht mit dem nackten Entsetzen, das ihr Gesicht verzerrte. Eine eisige Hand schien sich um mein Herz zu schließen.
»Eleanor«, stammelte sie endlich, »ich hatte ja keine Ahnung … ich wäre doch sonst nie so weit gegangen, dir Vorwürfe…«
»Schon gut«, wehrte ich ab. Sie hatte sichtlich Mühe, ihrer Panik Herr zu werden. »Ich hatte eigentlich gehofft, du würdest dich für mich freuen.«
Sie rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Das tue ich ja auch, Eleanor…«
»Aber?«
»Nun … du bist noch so jung, und er ist so viel älter als du…«
»Das kommt gar nicht so selten vor, habe ich mir sagen lassen.«
»Nein, aber … bist du ganz sicher, dass du das Richtige tust, Eleanor?«
Ich unterdrückte meinen aufkeimenden Ärger, indem ich mir sagte, dass sie nur aus Sorge um mich so viele Bedenken äußerte. »Ich war mir in meinem ganzen Leben einer Sache noch nie so sicher«, erwiderte ich mit fester Stimme. »Mach dir keine Gedanken um mich, Mary.«
Sie nickte langsam. »Dann kannst du ja eure Verlobung auf dem Ball bekannt geben, das bietet sich doch an.«
Obwohl ich von diesem Vorschlag wenig angetan war, lächelte ich. »Das ist eine gute Idee.«
»Auf jeden Fall«, fuhr sie hastig fort, als wolle sie dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen, »solltest du wegen deiner Schlafstörungen unbedingt einen Arzt aufsuchen. Du kannst doch keine Hochzeit planen, wenn du ständig übermüdet bist.« Sie lächelte mit einer Spur von Mitgefühl und dieser unerklärlichen neuen Wachsamkeit in den Augen. »Wir machen uns Sorgen um dich, Eleanor.«
Das ›wir‹ jagte mir einen Schauer über den Rücken, doch ich zwang mich gleichfalls zu einem Lächeln. Mary griff nach der Liste, auf die ich noch keinen Blick geworfen hatte.
»Darum brauchst du dich nicht zu kümmern«, versicherte sie mir hastig. »Colette und ich werden die Einladungen schreiben. Du musst nur eine kleine Rede einstudieren und dir ein Kostüm beschaffen.«
»Ein Kostüm?«
Sie seufzte. »Wir veranstalten einen Kostümball, Eleanor, hast du das schon vergessen?«
»Wo soll ich denn hier ein Kostüm auftreiben?«
Marys Augen leuchteten auf, ihr schien ein Gedanke gekommen zu sein. »Vielleicht passt dir ja eines der Kleider, die wir auf dem Dachboden gefunden haben. Dann gehst du als eine deiner Vorfahrinnen.«
Ich fand die Vorstellung abstoßend, aber sie war Feuer und Flamme, und ehe ich wusste, wie mir geschah, stand ich mit einer Kerze in der Hand auf dem Dachboden und leuchtete Mary, die in dem alten Schrankkoffer herumwühlte.
Bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass viele der Kleidungsstücke den Attacken von Mäusen und Motten zum Opfer gefallen waren und andere nicht die richtige Größe hatten. Doch unter dem vergilbten Hochzeitskleid stieß ich auf zwei Kleider, von denen ich hätte schwören können, dass sie beim letzten Mal noch nicht dort gelegen hatten und von denen ich wusste, dass sie mir wie angegossen passen würden. Eines war aus roter, golddurchwirkter Seide, das andere aus einem duftigen weißen Stoff. Eigentlich hätte mir dieser Fund einen gewaltigen Schrecken einjagen müssen, aber in der letzten Zeit hatten sich so viele unerklärliche Vorfälle ereignet, dass ich nur milde Verwunderung empfand.
»Glaubst du, das sind tatsächlich die…« Mary brach ab und hob das rote Kleid hoch.
»Sie sehen zumindest genauso aus wie die Kleider auf dem Portrait«, bestätigte ich grimmig.
Ohne auf mein Unbehagen zu achten hielt sie mir das Kleid an die Schultern. »Du würdest entzückend darin aussehen, Eleanor.«
Ich nahm das weiße Gewand aus dem Koffer und schüttelte es aus, um die Knitterfalten zu glätten. Es sah aus, als wäre es noch nie getragen worden. »Wenn überhaupt, dann wäre es doch wohl angemessener, wenn ich das Kleid meiner Mutter trage«, gab ich scharf zurück. Meine Worte schienen einen Moment lang in der heißen, staubigen Luft zu hängen. Eine innere Stimme raunte mir zu, dass es vollkommen bedeutungslos war, für welches Kostüm ich mich entschied, doch ich
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