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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aber jetzt, wo ich unter den Sternen in der Nacht sitze, jetzt rechne ich und blicke nach innen auf die große Karte Afrika, die mein Gehirn umschließt. Ich liege hier bei Bir-Adjiba, nicht weit von hier muß ein Fort der Legionäre sein, denn nur kurze Strecken werden mit dem Jeep in der Sahara gefahren. Wenn mir die Flucht gelingt, wenn ich die Kraft besitze, vier oder fünf Stunden allein durch die Wüste zu laufen, kann ich gerettet werden.
    Die Kraft … Ich sehe an meinem Körper hinunter, an diesem knochigen, fast fleischlosen Körper. Fünf Stunden durch die Wüste? Warum habe ich nicht fünf Tage, Wochen, Monate, Jahre gedacht? Es wäre der gleiche Irrsinn. Oh, man wußte schon, warum man mich auf der Grenze von Leben und Sterben hielt, zwei Jahre lang. Da brach man meine Kraft, man unterhöhlte mich in den Wüstengluten, man gab mir Essen und brackiges Wasser, das ich angewidert stehen ließ, und man lächelte dabei, zuvorkommend, mit einer Glattheit, die einen zum Wahnsinn treiben kann. »Es ist die Nahrung unseres Volkes«, sagte man zu mir. »Wir sind genügsam, wir leben einfach – es ginge Europa besser, wenn es weniger Ansprüche an das Leben stellte.«
    Nie habe ich darauf geantwortet – man soll sich nicht mit einem fremden Volk streiten. Diese Männer kennen Europa und bewundern seine Technik, seine Kultur, seine übersteigerte Zivilisation, und sie hassen es aus dem Instinkt des Naturvolkes heraus, weil sie spüren, daß die Entwicklung der Menschheit nicht vor ihren Grenzen aufzuhalten ist und sie überrollen wird.
    Ich möchte flüchten. Merkwürdig – nie hat sich dieser Gedanke in den zwei Jahren so festgesetzt wie in diesen Stunden. Immer denke ich daran. Es ist ein Kreislauf in meinem Gehirn. Flucht … Flucht … Flucht …
    Ob es die leise Hoffnung ist, doch von der Patrouille gesehen worden zu sein?
    Flucht! Ich müßte mich nach den Sternen richten und nordwärts laufen. Dort müßte der Sand in eine Kieswüste übergehen, dann in eine Steppe.
    Mein Gott, hätte ich neben dem Willen doch bloß die Kraft dazu! Nun sitze ich wieder in der Nacht, die Lagerfeuer aus Kamelmist prasseln in der Stille. In der Mitte des Lagers steht das große runde Zelt Amar Ben Belkacems, ein Zelt mit einem Vorbau und einem überdachten Stall für sein weißes Rennkamel.
    Um uns ist die Wüste, kalt, leblos.
    Ich schrecke auf, hinter mir steht ein Mensch, Amar Ben Belkacem.
    »Sie schreiben Ihr Tagebuch, Doktor?« fragt er.
    »Ja.«
    »Dann schreiben Sie hinein, daß Amar Ben Belkacem Ihr Leben rettete. Babaâdour wollte Sie töten lassen.«
    Ich kann nicht weiterschreiben, meine Finger zittern, es geht wie ein Krampf durch meinen Körper. Ich muß den Bleistift fortlegen, sonst zerbricht er unter meinen Fingern.
    Es ist soweit. Man will mich töten.
    Ich kann einfach nicht mehr weiterschreiben.
    Hilde Sievert erlebte den einen Tag des Wartens in einem Taumel von Hoffnung und ausbrechendem Jubel. Nach dem verschwenderischen Mittagessen war sie weiter durch die Straßen Berlins gelaufen, hatte ihre Freundin angerufen und in den Apparat gejubelt: »Du, ich bin ja so glücklich, so glücklich! Ich komme nach Afrika! Umsonst! Ich kann Hans suchen! Ich weiß gar nicht, was ich mit mir anfangen soll! Ich könnte jeden auf der Straße küssen, ich könnte singen und tanzen, ich könnte mich umbringen vor Freude! Ganz toll bin ich! Verrückt glücklich!« Und dann hatte sie den Hörer wieder auf die Gabel geworfen und war weitergerannt.
    Zu Hause, in ihrer kleinen Mansarde mit dem schmalen Eisenbett, dem wackeligen Kleiderschrank, dem kleinen Tisch unter dem schrägen Fenster, auf dem ein Bild Hans Sieverts hinter einer winzigen Vase mit Feldblumen stand, der schmalen Waschtoilette mit dem blinden, an vielen Stellen abgeschabten Spiegel, in diesem Zimmer, das zum Leben reichte, warf sie sich auf das Bett und weinte vor Freude. Später lag sie dann auf dem Rücken und sah an die schräge Decke. Hinter ihr, auf einem kleinen Bücherbord, das vollgestopft war mit Landkarten und Büchern über Nordafrika, spielte leise ein Kofferradio, ein winziger Apparat, der ein wenig blechern klang, aber den einzigen Luxus bildete, den sich Hilde Sievert in all den Jahren des Alleinseins gönnte.
    Über den Dächern Berlins lag ein schwerer, sommerlicher Abendhimmel. Es war schwül geworden in den letzten Stunden, eine feuchte Wärme behinderte das Atmen. Die Kellner des Cafés rollten die Schirme, Tische und Korbstühle, die

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