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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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tagsüber auf den Straßen standen, abgegrenzt durch Blumenkästen und Topfpalmen, ins Innere der Häuser. Man erwartete ein Gewitter. Ein Stockwerk unter Hilde sang ein Tenor. Er war Gesangsschüler und wirkte im Chor der Städtischen Oper mit. Stundenlang übte er Tonleitern und das An- und Abschwellen der Stimme in einem Atemzug. Hilde lächelte vor sich hin. Wie vertraut und zu ihrem Leben gehörend das alles war! Der Tenor sang. Zwei Zimmer weiter klapperte die Schreibmaschine eines Schriftstellers, sie klapperte stundenlang am Tag, und die Post brachte jeden Tag ein paar Briefe für den jungen Mann – zurück. Aber unverdrossen, mit immer neuer Hoffnung, verbissen in den Glauben, einmal gedruckt zu werden, klapperte die Maschine weiter, Stunden um Stunden. Und für das Porto der Briefe hungerte er.
    Auf der anderen Seite des Treppenhauses wohnte in der Mansardenwohnung eine Lehrerswitwe mit einer schönen Pension und sieben siamesischen Katzen. Mieter Nr. 2 in der ersten Etage, der Bankkassierer Wuttke, hatte sie schon dreimal verklagt, weil einige Katzen das Fleisch stahlen, das Herr Wuttke auf dem Balkon zum kleinen Hinterhof in einer Glasschüssel für den nächsten Tag abstellte. Die Lehrerswitwe verwies auf die Paragraphen, nach denen Tierliebe nicht strafbar ist, und ersetzte Wuttke dreimal sein gestohlenes Mittagessen.
    Die anderen Mieter traten kaum in Erscheinung. Hildes Wirtin, Frau Brehmge – der Mann war eines Tages verschwunden, und niemand suchte oder vermißte ihn –, lebte vom Zimmervermieten und einem Kolonialwarenladen im ausgebauten Keller des Hauses. Hilde sah sie selten – nur an den Tagen, an denen die Miete oder das Wassergeld oder das Lichtgeld fällig waren, und das war gut so, denn Frau Brehmge troff von Neuigkeiten, die man sich in ihrem Laden beim Einkauf von Porree, Sellerie und Wirsing erzählte und die meistens in der Feststellung gipfelten, daß Frau Müller oder Fräulein Semper (nomen est omen) schon wieder einen neuen Liebhaber hätten.
    Ja, so war das Leben in diesem Haus. Und es fehlte etwas im Rhythmus des Lebens, wenn es anders geworden wäre. Man erkundigte sich besorgt, wenn die Tonleitern des Tenors nicht durch das Treppenhaus flatterten, man bekam Angst, wenn einen Tag lang nicht mindestens drei Katzen auf dem Hausdach oder den Balkonen saßen, und man wurde völlig kopflos, wenn nicht der Briefträger den Hausmeister fragte: »Ist Herr Pfeil oben?«
    Herr Pfeil war der Schriftsteller mit dem großen Postverkehr.
    An diesem Abend lag Hilde auf dem Bett, und das Radio hinter ihrem Kopf auf dem kleinen Bücherbord spielte leise eine traurige Melodie. Das Schreibmaschinenklappern hatte aufgehört, Herr Pfeil ging noch schnell vor Redaktionsschluß zu einigen Zeitungen, um Kurzgeschichten anzubieten. Der Tenor war auf der Probe, die Katzen der Lehrerswitwe saßen um eine große Schüssel und schlappten.
    Was werde ich in Afrika tun? dachte Hilde und faltete die Hände hinter dem Nacken. Ich werde tanzen müssen, ja, das muß ich tun, denn wie soll ich sonst die Kosten zurückzahlen? Ein bißchen Übung auf dem Schiff – wie gut, daß ich gut turnen kann –, und es wird schon gehen. In einer Reihe von Girls fällt es nicht auf, wenn man eine Anfängerin ist. Die anderen reißen einen mit, und es dauert nicht lange, dann wirft man die Beine genauso an die Decke wie die anderen …
    Sie lächelte und zählte die Punkte an der Decke, die die von der Abendsonne beschienenen Sprossen der Feuerleiter von gegenüber auf den Verputz warfen. Die Punkte flimmerten und schwankten, und plötzlich waren sie ausgelöscht, als habe ein Schwamm sie weggewischt; die Wolken hatten die Sonne verdunkelt.
    Was nimmt man mit, wenn man nach Afrika fährt? Hilde richtete sich auf und nahm ein Stück Papier und einen Bleistift. Sie begann zu schreiben, aber schon nach wenigen Worten hörte sie auf und legte sich aufs Bett zurück.
    Zwei Shorts, vier bis sechs weiße Blusen, zwei Röcke, ein Paar derbe, ein Paar weiße, leichte Schuhe, drei Sommerkleider, Söckchen usw.
    Sie rechnete nach, was sie noch an Geld von den Kunsthandlungen erhielt. Ein Aquarell, eine kleine Tonplastik, zwei handgewebte Tischdecken, 80 x 80 cm, vier handgewebte Schals mit Troddeln, dann noch ein Dekor auf mattweißem Porzellan, Blumen und Goldblätter – es mußten dreihundertsiebzig Mark sein, wenn die Handlungen die Preise zahlten, die sie angegeben hatte.
    Und davon gingen ab: die laufende Miete, Wassergeld und

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