Die Strasse ohne Ende
Zeichen sein, daß er wirklich nicht mehr lebte, daß sie einem Phantom nachlief.
So drang der andere Gedanke, die Sehnsucht nach Dr. Handrick, eine Liebe, die Hilde bisher nie begriffen hatte, mächtiger in ihr Herz vor und ergriff vollkommen Besitz von ihrem Denken und Fühlen. Sie wurde zur allumfassenden Kraft in den Tagen der Gefangenschaft bei Fuad.
Der Araber schien das zu spüren. Er war von Omar Ben Slimane unterrichtet worden und beobachtete Hilde, ohne daß sie es merkte, jeden Tag, wenn sie im Garten spazieren ging. Mißtrauisch hockte er dann hinter Sträuchern oder Mauerresten eines vor langer Zeit ausgebrannten Hauses. Dieses Haus hatte seine besondere Geschichte. Hier hatte ein Legionär betrunken eine Zigarette auf den Teppich geworfen und verbrannte mit fünf Mädchen, weil man das Haus im Sommer wegen Wassermangels nicht löschen konnte. Seitdem wurde es von allen Leuten in der Oase gemieden. Man glaubte, die Geister der Verbrannten gingen noch in den Mauerresten um und verfluchten die Menschen, die sich in ihnen niederließen. Fuad ignorierte diese Legende.
Er saß unter dem Gestrüpp, das die Mauern überwucherte, und beobachtete Hilde. Warum er hier saß, wußte er selbst nicht. Er gab sich nie der Hoffnung hin, diese schöne weiße Frau zu besitzen, aber schon der Gedanke, daß sie in seinem Haus lebte, daß er, der früher bettelarme Araber, der später sein Geld mit leichten Mädchen verdient hatte und heute einer der reichsten Männer der Wüste war, eine weiße Frau im Hause festhielt, machte ihn stolz und glücklich. An Gewalt dachte er nicht; er wußte, daß durch Gewalt die zarte Frau nur zerbrechen würde, daß er sie verlor in dem gleichen Augenblick, in dem er sie gewaltsam besaß. So schwieg er, strich um sie herum wie ein treuer Hund und beargwöhnte ihre Handlungen und Gebärden, die er oft nicht verstand.
So sah er eines Tages mit Staunen, daß Hilde sich einen kleinen Pavian aus dem Affenhaus genommen hatte, das Fuad zur Erheiterung seiner Gäste in jedem seiner Häuser besaß. Sie ließ den Affen auf ihrem Schoß hocken, fütterte ihn mit Feigen und blauen Trauben, kraulte ihm das Fell und spielte mit ihm im Garten an der Mauer, ihn an einer langen, silbernen Kette festhaltend.
Fuad saß hinter den verbrannten Mauern und sah ihr zu. Er wußte nicht, woher die plötzliche Liebe zu dem Pavian kam, ob es die Sehnsucht nach etwas Lebendem war, das anschmiegsam und treu und doch ungefährlich war, oder ob sie damit etwas bezweckte, dessen Sinn er nicht begreifen konnte.
Mißtrauisch holte er am Abend, als Hilde in ihrem Zimmer schlief, den kleinen Affen aus dem Käfig und betrachtete ihn genau. Er untersuchte das Fell, sprach mit ihm – aber es war ein Affe wie alle anderen; nichts Besonderes war an ihm. Da warf er ihn wieder in den Käfig zurück und ging zum Markt von Oued el Ham, wo die Handwerker ihre offenen Stände haben.
Zwei Tage später stand in Hildes Zimmer ein kunstvoller, hölzerner, großer Käfig mit einer Schaukel, einer kleinen Blockhütte, einem schönen Eßplatz und einer Wippe. In ihm hüpfte der Pavian herum und begrüßte seine Herrin mit Quieken und Kreischen.
Hilde bedankte sich stumm bei Fuad. Sie gab ihm die Hand. Er blickte auf ihre Handfläche und dann in ihre Augen. Als sie ihm zunickte, ergriff er sie und beugte sich über sie. Aber er küßte sie nicht, er legte nur seine Stirn in ihre Hand und richtete sich dann schnell wieder auf.
Nur Sekunden dauerte diese sklavische Unterwürfigkeit. Mit hocherhobenem Haupt verließ er das Zimmer und schloß leise hinter sich die Tür.
An diesem Mittag erhielten die Mädchen der ›Häuser‹ ein besonders gutes Essen und zwei Stunden Freizeit, die sie mit Fuads Dienerin in den weiten Gärten verbringen konnten.
In diesen zwei Stunden durfte Hilde den Garten nicht betreten. Hinter dem roten Gitter ihres großen Balkons sitzend, starrte sie hinab auf die Mädchen, die durch die Blumenbeete gingen. Es waren Araberinnen, Ouled Nails, Berberinnen – aber auch zwei weiße Mädchen waren darunter: eine große, schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren und eine kleinere, etwas rundliche rothaarige Frau, die traurig unter einer Palme saß und hinabsah in das ausgetrocknete Wadi.
Hilde wagte nicht, sich bemerkbar zu machen. Sie sah mit brennenden Augen auf dieses schreckliche Bild der Sklaverei, auf diese Entrechtung der Frau. Als nach den zwei Stunden die Wärter die Mädchen wieder in die Häuser trieben,
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