Die Strasse ohne Ende
langen Dolch und wartete. Aber seine Hand zitterte vor Schwäche und Kälte.
Ab und zu kroch er an den Eingang und preßte den Kopf auf die Erde. Das Ohr an den Boden gedrückt, hörte er das Getrappel der Kamele. Als sie sich entfernten, atmete er hörbar auf und kroch zurück in den Keller.
In einer Mauerecke wickelte er sich in die Djellabah und legte sich auf den Boden. Seine eingefallene Brust hob und senkte sich in erregtem Atmen.
Wie ein Haufen Abfall, wie ein Bündel dreckigen Stoffs lag er in den feuchten, ausgebrannten Ruinen. Ein ängstlicher, gejagter Mensch.
Dr. Hans Sievert.
Der Morgen dämmerte.
Ich habe ein wenig geschlafen – nicht fest, denn ich kenne ihn ja nicht mehr, den Schlaf, den immer getreuen Freund. So nannte ihn Goethe im ›Egmont‹, so oder ähnlich – ich weiß es nicht mehr. Ich habe so lange nicht mehr geschlafen; immer hetzte ich durch die Wüste und wartete auf die Stimmen meiner Verfolger.
Oued el Ham heißt diese kleine Oase am Rande der Wüste. Ich kenne sie von früher her. Hier lebte ich einmal eine Woche und trank im Café Saharien einen Apéritif. Damals stand ein Monsieur Concors neben mir an der Theke und erzählte von den vielen Geheimnissen, denen er bei einem Zug durch die innere Sahara begegnet war. Wir staunten ihn an, den Weitgereisten. Und heute liege ich hier in einem stinkenden Keller und krieche in mich zusammen wie ein getretener Wurm.
Draußen warten die Araber in der Sonne. Ich weiß es. Harmlos, als Händler oder Bettler getarnt, lagern sie an den Ecken der Straßen und Märkte und bewachen die Ausgänge der Oase. Niemand kann sie verlassen, ohne von ihnen gesehen zu werden. Auch mich würden sie sehen, noch bevor ich einen Legionär auf mich aufmerksam machen könnte. Sie würden mich aus dem Hinterhalt töten, während ich der Freiheit in die Arme laufe, der Freiheit des Todes!
Durch die Risse der Decke und die sie überwuchernden Büsche dringt der helle Tag in mein Loch. Würmer und Molche sitzen in den faulenden Ecken. Auch Spinnen gibt es hier wieder, große Spinnen, deren Netze zauberhaft in den schräg einfallenden Strahlen schimmern. Diese Würmer und Spinnen sind nicht giftig, ich weiß es und kenne sie, aber sie ekeln mich.
Ob ich hier sicher bin?
Ich glaube, niemand hat mich gesehen, wie ich in diesen Garten rannte und mich versteckte. Alle Häuser waren dunkel, die Läden geschlossen, und auch hinter dem großen, vergitterten Balkon, von dem aus man den ganzen Garten überblicken müßte, war alles finster.
Welch ein Glück hatte ich mit diesem stillen Garten! Ich wußte nicht, wo ich mich in Oued el Ham verstecken sollte, seit die Leute Amar Ben Belkacems mich vor drei Tagen bei der kleinen Oase in Balah sahen und durch die Wüste bis an den Rand des Atlas hetzten. Es war eine wilde Jagd. In der Nacht entkam ich ihnen immer wieder, aber am Tage holten sie mich ein. Oft sah ich ihre Silhouetten auf den Sanddünen, während ich mit meinem wunden Kamel in einer Senke lag und sie vorbeiziehen ließ.
In diesen Tagen habe ich gelernt, ein Tier mehr zu lieben als einen Menschen. Was wäre ich ohne dieses treue Kamel gewesen, wie weit wäre ich gekommen, ohne auf seinem Rücken zu hocken und es trotz seiner geschundenen Beine durch die Hitze zu treiben? Wir haben, aneinandergepreßt, die Wüstennächte erlebt, wir haben den Durst erlitten und den Hunger ertragen, wir haben geschrien, als wir nach Tagen den ersten Brunnen sahen. Ich habe ihn mit den Händen in drei Stunden ausgegraben und das versandete Wasser mit dem Tier geteilt.
Und weiter ging es, immer weiter in diese Unendlichkeit hinein, in diesen kochenden Horizont, durch Luft, die vor Hitze brodelte. Nun liege ich hier, ausgelaugt und müde, zerschlagen und unfähig weiterzuflüchten. Wenn sie jetzt kämen, mich zu holen, ich wehrte mich nicht. Ich könnte es einfach nicht mehr.
Eine kleine Pause. Ich hörte Tritte über mir und kroch zum Ausgang des Kellers. Verdammt, es ist doch alles Unsinn, was ich vorhin schrieb. Man verkauft sein Leben so teuer wie möglich. Ich schlich auf allen vieren zum Ausgang und spähte hinaus. Ein großer Araber stand in der Ruine und schien durch die Zweige der Büsche etwas zu beobachten. Er war keiner der Leute Amar Ben Belkacems, er trug nicht die zweifarbige Djellabah der Nomaden, sondern einen langen, seidenen, goldbestickten Haikh und einen schönen, niedrigen, modernen Fez aus glänzender Seide. Sicherlich ist er der Besitzer des Gartens
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