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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tor wurde geschlossen. Die Scheinwerfer auf den Türmen kreisten bereits durch die beginnende kurze Dämmerung.
    Arabische Händler und Bettler wurden noch durch eine kleine Tür hereingelassen. In einem Seitengebäude übernachteten sie, nachdem man sie auf Waffen untersucht hatte.
    Vor dem großen Tor saß im Staub der Wüste ein zerlumpter Bettler. Zitternd hielt er seine Hand den Händlern und Soldaten hin.
    Als die Truppen abgezogen waren und gegen den Abendhimmel wie ein Heer Ameisen aussahen, blickte er ihnen lange nach.
    Amar Ben Belkacem.
    Die Wache ließ den Bettler in das leere Fort.
    Drei Wochen war Hilde jetzt in Oued el Ham.
    Sie war frei, freier jedenfalls als bei Omar Ben Slimane. Fuad el Mongalla ibn Hadscheh sprach wenig mit ihr, nur seine Blicke redeten, und Hilde wich ihnen aus.
    Sie durfte sich frei in dem weiten Hof des Hauses bewegen, konnte die Gärten betreten und durch einige Mauerlöcher hinab in das Wadi blicken, wo jetzt im Sommer ein reger Verkehr mit Kamelen und Eseln herrschte. Einmal sah sie auch Touristen aus Europa. In Tropenhelm und Shorts stiegen sie schwitzend über die Steine und fotografierten jedes Kamel und jede hohe Palme. Eine junge blonde Frau in einem Seidenkleid stellte sich ihrer Mauer gegenüber an einen großen Stein und ließ sich von einem jungen verliebten Herrn fotografieren. Sie lachte dabei, und ihr Lachen klang hell und klar bis zu Hilde. Ein Lachen der Freiheit … Da lehnte sie den Kopf an die rissige Mauer und weinte haltlos.
    Ab und zu begleitete sie Fuad auf ihren Spaziergängen in den Gärten. Er sprach wenig mit ihr, und wenn er sprach, verstand sie ihn nicht, nur am Klang seiner Stimme erkannte sie die Zärtlichkeit. Er stand dann neben ihr unter den haushohen Palmen und sah über die blühende Oase Oued el Ham. Manchmal schenkte er ihr an solchen stillen Tagen wertvollen, handgehämmerten und ziselierten Silberschmuck mit arabischen Sprüchen, die den Segen Allahs auf die Trägerin herabbeschworen. Oder er brachte Obst, ausgewählte Früchte, die es in El Ham nicht gab und die er mit einem Auto aus Algier oder von den Märkten in Bou Saâda und Biskra kommen ließ.
    Mit den Bewohnern der ›Häuser‹ kam Hilde nicht in Berührung. Sie wußte nicht einmal, welche Mädchen in ihnen vegetierten, ob es Eingeborene waren oder auch Europäerinnen, die Omar Ben Slimane genau wie sie an Fuad verkauft hatte. Sie fragte auch nicht – nicht, weil es ihr gleichgültig war, sondern aus Angst, ihre Frage könnte Fuad erzürnen und sie auch dorthin bringen, woran sie mit einem wilden Schauder dachte.
    Einmal, es war an einem Abend – Hilde saß an der Mauer und hörte auf das Brüllen ankommender Kamele und Esel –, klang über den Garten von den ›Häusern‹ her lautes, schrilles Geschrei. Das Klatschen einer Peitsche auf nackte Haut unterbrach es. Es war eine helle, durchdringende Frauenstimme, die vor Schmerz schrie. Als das Klatschen der Peitsche aufhörte, sah Hilde eine Gestalt durch den Garten laufen, geduckt, schwankend, und hinter ihr einen Araber, der sie einholte, zu Boden riß und dann über die Schulter warf. Jammernd wurde sie fortgetragen; ihr Wehgeheul erstarb im Innern des Hauses.
    Starr saß Hilde an der Mauer und starrte auf das gräßliche Schauspiel. Sie saß noch so, keines Wortes fähig, als Fuad zu ihr trat und sich leicht verneigte. Er erkannte sofort ihr Entsetzen und nickte bedauernd. »Wollte flüchten«, sagte er langsam und hob die Schultern. »Nix gut flüchten.«
    Hilde wandte sich ab und ließ Fuad stehen. Sie rannte durch den Garten auf ihr Zimmer und schloß sich ein. Dann lag sie auf dem breiten, weichen Diwan in den seidenen Kissen und starrte an die goldverzierte Decke und zu dem großen Balkon, der von weißen Säulen umrahmt wurde und durch ein rot bemaltes Eisengitter vom Garten getrennt war.
    Sie dachte an Dr. Handrick, und ohne es sich bewußt zu sein, lebte sie eigentlich nur in der Hoffnung, daß er sie suche und finde. Sie dachte viel an ihn in diesen einsamen und schweren Tagen, mehr als an ihren Bruder, und es wurde ihr gar nicht bewußt, daß sich in ihrem Inneren eine große Wandlung vollzogen hatte.
    Der Bruder war plötzlich in eine unerreichbare Ferne gerückt. Warum hatte er fünfzehn Jahre nichts von sich hören lassen, wenn er wirklich lebte? Er hatte doch die Möglichkeit zu schreiben – Jahre, nachdem der Krieg beendet war. Darin hatten alle recht, die an Dr. Sieverts Leben zweifelten, das mochte ein

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