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Die Strasse ohne Ende

Die Strasse ohne Ende

Titel: Die Strasse ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und des Hauses. Aber auch er würde mich verraten, wenn er mich sähe.
    Er wird bereits wissen, daß man einen wertvollen Weißen sucht, den Mann, der Nordafrikas Landschaft verwandeln kann. Es ist ein Witz der Weltgeschichte, daß man ihn in einem Loch mit Spinnen und Würmern finden kann.
    Ich glaube, ich habe etwas Ruhe. Der Araber über mir hat die Ruine verlassen. Ich habe mich auf die Seite gelegt und vielleicht eine Stunde lang mit geschlossenen Augen geruht. Das erfrischt und gibt neuen Mut.
    Jetzt endlich habe ich auch Zeit, darüber nachzudenken, wie alles werden soll. Hier in Oued el Ham muß die Flucht zu Ende sein, hier muß ich aus dem Keller der Ruine hinaus in die Freiheit, sonst sehe ich sie nie wieder! Es kann nicht so weitergehen, weil ich es einfach nicht mehr schaffe. Ich muß versuchen, an einem Abend aus diesem Garten auszubrechen und mich in den Schutz einer Legionärstruppe zu stellen, noch bevor Amar Ben Belkacems Leute die Möglichkeit haben, mich in der kurzen Spanne zwischen Garten und Truppen zu töten. Das ist ein großes Wagnis, es wird hier um Sekunden gehen; aber es ist das einzige Wagnis, das mich ans Ziel bringt.
    Jetzt, in der zeitlichen Geborgenheit, empfinde ich die Qual des Hungers. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich die letzten Datteln und den letzten Fladen gegessen habe. Wie Fleisch schmeckt, habe ich längst verlernt. Gestern stand ich vor dem Entschluß, dem Hunger die Kraft zu brechen. Mein Kamel, mein bester, treuester Freund, ist gestorben. Ich weiß nicht, wie es kam, plötzlich sank es in die Vorderbeine, kippte zur Seite und blieb liegen. Als ich mich erhob und den Sand abklopfte, atmete es nur noch schwach und sah mich aus großen, traurigen Augen an. Fast eine Stunde saß ich neben ihm und hielt seinen Kopf, dann starb es still, unauffällig, wie es mich durch die Wüste trug; es hörte einfach auf zu atmen, und die Augen brachen.
    Ein Mensch ist schrecklich in der Not. Mein erster Gedanke war nicht Trauer, sondern die Sehnsucht nach Fleisch.
    Frisches Fleisch, ich hätte es roh und blutig essen können, so gierig war ich, so ausgehungert und ausgetrocknet. Kamelfleisch soll gut schmecken, und Blut löscht den Durst; es ist doch Flüssigkeit, es rinnt über die Zunge, in den Gaumen.
    So stand ich vor dem treuen Tier, den Dolch in der Hand, und wollte es zerschneiden.
    Ich wollte es, berauscht von dem Gedanken an Sattsein. Aber dann ließ ich es liegen, den Geiern und Schakalen zum Fraß, und zog zu Fuß weiter bis nach Oued el Ham.
    Ich höre Schritte im Garten, leichte Schritte.
    Sie kommen zu meinem Versteck, halten an, jetzt sind sie über mir, kommen auf die verfallene, rissige Treppe des Kellers zu, jetzt verhalten sie wieder.
    Mein Gott, das ist das Ende! Ich weiß es. Aber ich werde mit dem Dolch in der Hand sterben, ich ergebe mich nicht.
    In den Büschen raschelt es, und jetzt kommen sie die Treppe heruntergeprasselt, rollen vor meine Füße: Äpfel, Birnen, Apfelsinen, dicke Melonen voll köstlichem Saft!
    Leben fällt auf mich nieder! Rettung!
    Ich bin die Treppe hinaufgestürzt, ich habe keine Vorsicht mehr gekannt, ich habe geschrien vor Glück und bin in die Sonne gerannt. Aber die Büsche der Ruine waren leer – nur zwischen den Palmen hörte ich Schritte, und dann sah ich eine Frau durch den Garten laufen.
    Ein Engel! Jetzt weiß ich, daß ich endlich gerettet bin.
    Der Morgen war schön und sonnig wie alle Morgen in Oued el Ham. Die Sonne brach durch die gefiederten Blätter der Palmen in langen Streifen, die den grünen Boden mit goldenen Flecken übersprühten. Hilde war schon sehr früh in den Garten gegangen. Zum größten Staunen Fuads, der auf seinem Beobachtungsposten in der Ruine hockte, hatte sie Bobo nicht mitgenommen. Traurig hörte man sein Quieken aus dem Zimmer. Er staunte noch mehr, als sich Hilde von einem Küchenmädchen einen Korb voll Obst bringen ließ und sich an die Mauer auf ihren Lieblingsplatz setzte und zu essen begann.
    Fuad schüttelte den Kopf und schlich zu seinem Haus zurück. Er wußte mit dieser neuen Beobachtung nichts anzufangen und ging an seine Morgenarbeit, die Abrechnung der einzelnen ›Häuser‹ und die Korrespondenz mit seinen Außenstellen in Algier und Constantine.
    Fast eine Stunde saß Hilde an der Mauer, aber sie schaute nicht mehr durch die Ritzen auf das Leben im Wadi, sondern beobachtete die ausgebrannte Ruine. Langsam aß sie einen Apfel, über eine halbe Stunde aß sie an ihm; dann stand sie

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