Die Strasse ohne Ende
trat sie vom Balkon zurück und lehnte den Kopf an die Gitter des Affenkäfigs.
Zärtlich kam der kleine Pavian und rieb sein Maul an ihrem Oberarm.
»Du mußt gut achtgeben«, sagte sie leise. »Du mußt mein Freund sein – hörst du – du mußt mich retten.«
Der Pavian grunzte und hüpfte auf die Schaukel. Mit weitem Schwung pendelte er durch den großen Käfig und hielt sich mit beiden Händen an den Seilen fest. Sein Gesicht grinste, die weißen, starken Zähne bleckten.
Von diesem Tag an sah Fuad Hilde nur noch mit dem Affen im Garten und in ihrem Zimmer. Er war immer bei ihr; er folgte ihr jetzt auch ohne die silberne Kette, er ging neben ihr her wie ein Kind, auf den Hinterbeinen, eine Hand in der ihren. Und wenn sie auf der steinernen Bank am Wadi saß und durch die Ritzen der hohen Mauer lugte, dann hockte er oben auf der Mauer und schimpfte mit den Händlern und Bettlern, die ihn neckten.
Abends aber, wenn Fuad schlief und in den ›Häusern‹ das Gegröle betrunkener Legionäre oder das Kreischen der Mädchen über den stillen Garten flog, saß sie mit dem Affen, den sie ›Bobo‹ nannte, in ihrem Zimmer und übte mit ihm. Sie schnallte ihm ein Halsband mit einer kleinen Kapsel um. Zuerst riß er sie immer ab und zerbiß sie, aber dann gewöhnte sich Bobo daran und ging mit der Kapsel unter dem Hals in seinem Käfig und im Zimmer spazieren. Bald beachtete er das Halsband gar nicht mehr und war so daran gewöhnt, daß ihm etwas zu fehlen schien, wenn er am Tag ohne die blinkende runde Kugel im Garten herumlief und mit Datteln nach seiner Herrin warf.
Aber da geschah es, daß der große Plan, den sie mit Bobo im Sinne hatte, plötzlich hinfällig wurde.
Es war ein Abend wie alle Abende im Oued el Ham. Die Dämmerung hing tief über der Oase, die Palmen ragten wie erloschene, schwarze, zerfetzte Fackeln in den Himmel. In den Ställen brüllten die Kamele, der Muezzin hatte zum letzten Abendgebet von dem Minarett der kleinen, lehmgebauten Moschee gerufen.
Hilde saß wieder am Gitter ihres Balkons und blickte hinunter in den Garten. Bobo saß neben ihr. Da sah sie, wie der Affe unruhig wurde und mit bleckenden Zähnen in einen Winkel des Gartens stierte, der schon im Finsteren lag. Die Ruinen des ausgebrannten Hauses hoben sich nur noch schwach ab, und zwischen dem Dunkel des Grüns und den Mauern gewahrte sie plötzlich einen huschenden weißen Fleck, der lauschend stillstand und dann weiter durch den Garten schlich. Ein Mensch! Ein fremder Mensch in einer zerrissenen Djellabah, das Kopftuch tief in die Stirn gezogen. Er schwankte etwas und hielt sich nahe dem Balkon Hildes an einer Palme fest, die andere Hand auf das Herz gepreßt.
Bobo begann zu jaulen. Hilde hielt ihm die Schnauze zu und starrte auf den wankenden Mann. Er hatte sich jetzt aufgerichtet und sicherte witternd wie ein Wild. Dann hetzte er in langen Sprüngen zu dem ausgebrannten Haus und verschwand in dem wilden Gestrüpp neben den Kellerlöchern.
Ein großer, hagerer Mann, dessen Gesicht sie nicht erkennen konnte. Ängstlich schaute Hilde noch eine Weile aus dem Fenster, ehe sie in das Zimmer zurücktrat. Schlaflos lag sie dann die ganze Nacht auf dem Diwan, horchte in die Nacht hinaus, trat einmal in der Dunkelheit an den Balkon und versuchte durch die Nacht zu spähen.
Aber es war still im Garten. Nur in der Ferne, am Rande der Wüste, heulten die Schakale. Die Palmen rauschten im kalten Wind. Träge flog der Sand durch die Straßen von Oued el Ham.
Die Oase schlief. Auch in den ›Häusern‹ war Stille. Die Araber waren gegangen. Legionäre aus den nahen Forts hatten heute keinen Ausgang. So war es still. Nur im Wadi war Leben. Hilde sah es trotz der Dunkelheit. Auf Kamelen ritten Araber in ihren weißen Djellabahs das Flußbett hinauf und hinunter, von der anderen Seite her hörte sie das dumpfe Tappen der Kamele und vereinzelte leise Rufe. Es war, als sei die Oase umstellt von einer Horde Krieger, die jetzt, in der Nacht, Oued el Ham von Haus zu Haus lautlos durchsuchte.
Die verbrannte Ruine lag völlig im Schatten der Palmen und Büsche. Ein schwarzer Fleck. Unheimlich. Voll Geheimnis. Umwoben von grausamen Sagen. Und in ihr lag ein Mensch, ein gehetzter, müder Mensch, blutend aus aufgerissenen Fußsohlen, abgemagert, an der Grenze seiner Kraft, eingehüllt in eine zerfetzte Djellabah.
Er lag in dem feuchten, faulenden Keller der Ruine und lauschte. Auch er hörte die leisen Rufe der Araber. Er umklammerte einen
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