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Die Straße - Roman

Die Straße - Roman

Titel: Die Straße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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meisten Häuser im Mühlweg noch gar nicht gestanden hatten und ein Herr Neugebauer und ein Herr Niebel oder auch mein Vater noch gar nicht ahnen konnten, jemals hier zu wohnen). Da wir uns ja erst gegen Ende der siebziger Jahre befinden, gibt es natürlich noch keine Mobiltelefone. Zwei Jahrzehnte später wären sie mit ihren Mobiltelefonen durch die Schlucht am Rosenthalviadukt gelaufen und hätten die Tochter angerufen, wo genau denn der böse Mann jetzt gestanden habe, und noch ein Jahrzehnt später hätten die Mädchen den Täter gefilmt und anschließend begeistert herumgezeigt, wie eklig das gewesen sei, so ein Typan den vierundzwanzig Hallen, und wie doof, hat gar nicht gemerkt, daß wir ihn gefilmt haben. Damals, es war etwa zur Zeit von Krieg der Sterne , war Videobeweismaterial noch nicht direkt verfügbar, und man konnte auch nur zu Hause anrufen, wenn irgendwo eine Telefonzelle stand. Die einzige im Barbaraviertel befand sich aber im Mühlweg vor dem Metzger Blum, da konnte man auch gleich nach Hause laufen und noch einmal nachfragen.
    Nun spalten sie sich auf, Wagner und Eiler suchen das Usa-Ufer ab, Jakumeit untersucht das Gebüsch an den Viaduktpfeilern und hält währenddessen seine Schaufel auf eigenartige Weise in den Händen, nämlich nicht, um damit auf jemanden draufzuhauen, sondern es sieht so aus, als wolle er gleich zu schaufeln beginnen – er hält sie leicht zu Boden geneigt wie bei der Gartenarbeit. Vom Burgberg ertönt ein leiser Schreckensschrei, denn Niebel stößt hinter einer Baumgruppe unversehens auf Powileit, der dort schon am Suchen ist.
    Vorstellbar natürlich auch, daß gerade irgendwer vorbeikommt, etwa mein Onkel J., der ja gern an der Usa spazierenging. Ein Moment des Verdachts flackert dann allerdings nicht auf, denn J. wäre von den Mädchen identifiziert worden, wenn er vor ihnen seinen Mantel geöffnet und sich hergezeigt hätte, sie kannten ihn ja alle, überdies hatte er gar keinen Mantel, sondern nur seinen jagdfarbenen Parka.
    Oder Herr Herrmann von der Bindernagelschen Buchhandlung, der heute einmal zufällig beschlossen hat, einen Spaziergang an der Usa zu machen, kommt entlanggeschlendert, und Jakumeit hebt einen Augenblick überrascht und wie zur Abwehr die Schaufel. Herr Herrmann überblickt die Gruppe der Barbaraviertler, wie sie in diesem seltsamen Licht unter dem bleiernen Himmel auf die verschiedenartigste Weise bewaffnet über die Wege und durch die Büsche strömen, jeder höchst konzentriert und alle zusammen natürlich ein völlig lächerliches Bild. Vielleicht hat er seine Tochter dabei. Sie ist neun oder zehn Jahre alt. Die Tochter betrachtet die Gruppe ebenfalls.
    Passen Sie nur auf, Herr Herrmann, sagt dann jemand (mit Blick auf die Tochter des Buchhändlers), hier treibt sich einer herum, er hat heute nachmittag die Töchter vom … und vom … belästigt.
    So, haben Sie ihn gesehen? Was hat er denn angehabt, fragt Herr Herrmann, der an diesem Tag einen knielangen Übergangsmantel trägt.
    Einen Übergangsmantel, bekommt er zur Antwort, bis über die Knie.
    So, sagt Herr Herrmann, während sein Unterredner die Suche fortsetzt und wieder auf Herrmanns Tochter blickt.
    Lassen Sie Ihre Tochter bloß nicht allein hier herumlaufen!
    Ja, das glaube ich auch, sagt Herr Herrmann mit Blick auf all die Knüppel und Äxte und Schürhaken und geht dann wieder davon, seine Tochter an der Hand.
    Eine Viertelstunde später kommt das Rückzugskommando an die Gruppe, man finde wohl nichts, der sei über alle Berge, und man könne hier nicht bis zum nächsten Morgen Posten stehen. Besser, wenn sie tags drauf wieder nachschauen gehen. Inzwischen beginnt es auch ein wenig zu nieseln. Und Herr Eiler muß sich auf seinen Nachtdienst vorbereiten. So laufen sie unverrichteter Dinge die Straße zurück in ihre Häuser, und die Töchter stecken noch immer zusammen im Haus der Jakumeits oder Powileits, die Mutter ist gerade bei der Nachbarin, um sich in ihrem Schrecken Linderung durch ein Gespräch zu verschaffen, und die jüngeren Kinder gucken just in diesem Moment, die Abwesenheit ausnutzend, mal wieder gegenseitig in sich hinein, was der Exhibitionist vielleicht auch gern gesehen hätte, aber nicht sehen darf, weil er nicht zu den Kindern dazugehört, sondern ein Exhibitionist ist irgendwo da draußen im dunkler werdenden Tag.
    Die Männer kommen von ihrem Abenteuer nach Hause, noch aufgewühlt von dem Gefühl, einmal ganz außerhalb der täglichen Ordnung selbst das Heft

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