Die Straße - Roman
kannten sie auch noch gar nicht. Das heißt, irgendwie kannten sie es wohl doch schon, aber sie wußten noch nicht so recht, was es eigentlich bedeutete, es war nur besonders eklig . Keiner rührte damals freiwillig Porno an, oder Pornos, oder Pornographie, vielleicht wußten sie das Wort nicht einmal zu deklinieren in seinen Möglichkeiten, und wie es eigentlich hieß (und es hieß für sie ja eigentlich gar nicht), wußten sie auch nicht. Aber natürlich gab es doch die eine oder andere, die das mal anrührte, und was sie dann zu sehen bekamen, war noch einmal etwas ganz anderes. Aber sich Porno besorgen, oder Pornos, oder ein Pornomagazin, oder Pornographie, das schafften nur ganz wenige, nur einige wagten diesen Schritt, und die anderen Mädchen kauften sich ab da den Playboy, quasi als Negativblaupause, weil sie dann den Mann schon quasi in der Hand hielten, weil sie das in der Hand hielten, was der Mann in der Hand hielt, wenn er sich in der Hand hielt. Und weil sie da sahen, was von ihnen eigentlich so gewollt war und wie sie denn auszusehen hätten im Ernstfall. Der Playboy war für die Mädchen die Fortführung ihrer Bravowelt. Die Erweiterung ihres Lebens durch Textbausteine, die dann eingefügt wurden, auch wenn es sich jetzt in erster Linie um Fotobausteine handelte.
Den Playboy kaufen war schon ein ganz arges Abenteuer. Oder man klaute ihn in den jeweiligen Familien beim älteren Bruder. Beim Vater eher nicht, das hätte gefährlich werden können, und der Vater hatte auch meist die besseren Verstecke, bzw. an seine Verstecke trauten sich die Mädchen meistens erst gar nicht heran.
Die Bravo dagegen wurde bloß unter der Matratze verborgen, aber das betraf, soweit ich mich erinnere, sowieso nur immer die letzte Nummer. Die Mutter wollte in der Bravo immer sofort dieneueste Sauerei suchen, um ihr Kind dann dementsprechend zu maßregeln und zu bestrafen und ihm in der ersten Aufwallung für alle Zeiten die Bravo zu verbieten (oder Mädchen , das lasen die Mädchen auch), manchmal rissen die Töchter auch die betreffenden Seiten heraus und warfen sie nach der Primärlektüre weg, um das Heft gefahrlos behalten zu können, denn auch der Rest der Bravo, also alles, was die Popstars betraf, war ja wichtig und sollte gerettet werden und nicht verlorengehen, aber nach einer Weile stellte sich zeitgleich zur allgemeinen Elternempörung doch auch eine Gewöhnung und Gleichgültigkeit ein, und immer noch lag die neueste Nummer unter der Matratze, aber die anderen Nummern lagen schon längst feinsäuberlich gesammelt und manchmal nach Jahrgängen geordnet in den Kinderzimmerregalen der damals Dreizehn- oder Vierzehnjährigen, und die Eltern (die Mütter) gingen während der Schulstunden ihrer Kinder in deren Zimmer und vergewisserten sich noch einmal deutlich, was da eigentlich drinstand. Was die Väter mit der Bravo machten und inwieweit die Mütter die Väter von der Bravo abzuhalten versuchten und ob nicht vielleicht in Wahrheit die Bravo gar nicht wegen der Töchter, sondern wegen der Väter das hervorgehobene, aber dafür dann auch völlig unausgesprochene Problem war, weiß ich nicht.
M it zwölf, dreizehn Jahren machte ich mir über all das keine Gedanken. Alles schien mir damals völlig normal und natürlich, obwohl mir manches bisweilen freilich etwas seltsam vorkam, etwa die zunehmende Fixierung meiner Schwester auf alles Amerikanische und vor allem auf unsere GIs in Friedberg. Überhaupt hatten sich die Mädchen verändert. Ihre Gesichter hatten nun etwas Hochmütiges und Verschlossenes bekommen, einige hatten sich einen Schlafzimmerblick zugelegt, und sie glitten in meinem Beisein auch nicht mehr in jenen anderen Zustand hinüber, wobei es mir aber stets so vorkam, als sei ihnen dieser Zustand zwar mindestens genauso wichtig wie früher, aber als behielten sie ihn jetzt besser für sich. Sie gerieten in erste größere Konflikte mit ihren Familien. Das betraf etwa ihre Ausgangszeiten. Es gab plötzlich Verabredungen, die verdächtig waren. Trafen sich die Freundinnen, wollten die Eltern nun ganz genau wissen, wo sie sich für die Zeit ihrer Verabredung aufhalten würden, ob sie bei der E … oder bei der S … bleiben würden, oder was sie denn eigentlich genau vorhätten. Es begann die Zeit der Kontrollfahrten.Waren sie verabredet, stand plötzlich ein Elternteil vor der Haustür der Familie des Mädchens, bei dem die gemeinsame Verabredung ausgemacht war, um zu überprüfen, ob die Mädchen
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