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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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werden es sich zusammenreimen, sagte er.
    Dann blieb er stehen.
    Wir müssen darüber nachdenken. Gehen wir zum Feuer zurück.
     
    Er hatte daran gedacht, eine Stelle auf der Straße zu suchen, wo der Schnee vollständig weggeschmolzen war, doch dann fiel ihm ein, dass das nichts nützen würde, da ihre Spuren auf der anderen Seite nicht wiederauftauchen würden. Mit den Füßen scharrten sie Schnee auf das Feuer, dann gingen sie zwischen den Bäumen hindurch weiter, schlugen einen Kreis und kamen zurück. In aller Eile traten sie ein Gewirr von Spuren in den Schnee, dann machten sie sich durch den Wald auf den Weg zurück in Richtung Norden, wobei sie stets die Straße im Auge behielten.
     
     
    Sie entschieden sich schlicht für die höchstgelegene Stelle, zu der sie kamen und von der aus sowohl die Straße in Richtung Norden als auch ihre Spur zu überblicken war. Er breitete die Plane im feuchten Schnee aus und wickelte den Jungen in die Decken. Du wirst frieren, sagte er. Aber vielleicht werden wir nicht lange hier sein. Es verging keine Stunde, und zwei Männer kamen fast im Laufschritt die Straße herunter. Als sie vorbeimarschiert waren, stand er auf, um sie zu beobachten. Und in diesem Moment blieben sie stehen, und einer blickte zurück. Er erstarrte. Er war in eine der grauen Decken gehüllt und wahrscheinlich schwer, aber nicht unmöglich auszumachen. Vermutlich, dachte er, hatten sie den Rauch gerochen. Sie standen da und redeten. Dann gingen sie weiter. Er setzte sich hin. Alles okay, sagte er. Wir müssen bloß warten. Aber ich denke, es ist alles okay.
     
    Sie hatten seit fünf Tagen nichts mehr gegessen und nur wenig geschlafen, und in diesem Zustand stießen sie am Rand einer Kleinstadt auf ein einstmals hochherrschaftliches Haus, das auf einer Erhebung neben der Straße stand. Der Junge hielt ihn bei der Hand. Auf dem Asphalt und in den nach Süden liegenden Wäldern und Feldern war der Schnee weitgehend geschmolzen. Sie standen da. Die Plastikumhüllungen um ihre Füße waren längst zerschlissen, und ihre Füße waren nass und kalt. Das Haus war hoch und stattlich, mit weißen dorischen Säulen entlang der Vorderfront. An der Seite eine Wagenauffahrt. Eine kiesbestreute Zufahrt, die durch eine Wiese von totem Gras im Bogen vor das Haus führte. Die Fenster waren merkwürdigerweise intakt.
    Was ist das hier, Papa?
    Pst. Wir bleiben erst mal hier stehen und horchen.
    Es war nichts zu hören. Der Wind, der den toten Farn am Straßenrand rascheln ließ. Ein fernes Knarren. Tür oder Fensterladen.
    Ich finde, wir sollten es uns mal ansehen.
    Papa, lass uns lieber nicht da hochgehen.
    Keine Sorge.
    Ich finde, wir sollten nicht da hochgehen.
    Keine Sorge. Wir müssen es uns ansehen.
     
    Die Zufahrt hinauf näherten sie sich langsam. Keine Spuren in den da und dort noch vorhandenen Flecken schmelzenden Schnees. Eine hohe, tote Ligusterhecke. In ihrem dunklen Geflecht ein altes Vogelnest. Sie standen im Vorgarten und musterten die Fassade. Die Ziegel, aus denen das Haus bestand, aus der Erde handgefertigt, auf der es stand. Die abblätternde Farbe hing in langen trockenen Streifen an den Säulen und von den verzogenen Fensterstürzen herab. Über ihnen an einer langen Kette eine Lampe. Der Junge klammerte sich an ihn, während sie die Stufen hinaufstiegen. Eines der Fenster stand einen Spalt weit offen, und von ihm zur Veranda verlief eine Schnur, die im Gras verschwand. Er hielt den Jungen bei der Hand, und sie überquerten die Veranda. Über diese Bretter waren einmal Sklaven gegangen, in den Händen silberne Tabletts mit Speisen und Getränken. Sie gingen zum Fenster und schauten hinein.
    Und wenn jemand da ist, Papa?
    Es ist niemand da.
    Wir gehen lieber, Papa.
    Wir müssen etwas zu essen finden. Wir haben keine Wahl
    Wir könnten woanders was finden.
    Das klappt schon. Na komm.
     
    Er zog den Revolver aus dem Gürtel und drehte den Türknauf. An ihren großen Messingangeln schwang die Tür langsam nach innen auf. Sie standen da und lauschten. Dann traten sie in ein geräumiges Foyer, dessen Boden ein Karomuster aus schwarzen und weißen Marmorfliesen zierte. Eine breite, nach oben führende Treppe. An den Wänden schöne Morris-Tapete, wasserfleckig und durchhängend. Die Stuckdecke wies großflächige Ausbauchungen auf, und die vergilbte Zahnschnittleiste an der Oberkante der Wände war krumm und stellenweise abgeplatzt. Links hinter einem Durchgang, in einem Zimmer, das wohl einmal das

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