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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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hier heraußen vergönnen zu wollen, ich werde Ihnen alles erklären … darf ich Sie draußen auf dem Platze erwarten? Ich wag's und versuch's. Mit ergebenstem Handkuß Ihr Dr. Negria.« Nun, er war ja ein beachtlich hübscher und ein eleganter Bursche obendrein, das möge man nicht ganz vergessen.
    Bei alledem hätte jeden Augenblick Mary eintreten können. Aber Negria vergaß während seiner Aktion völlig auf sie, so sehr nahm ihn seine Durchbruchs-Interventionistik ein. Erst draußen auf dem sonnigen Platze kalkulierte er wieder in der Richtung jener Gefahr (das war's jetzt schon für ihn und nichts anderes). Mary hatte ihre Zeit bereits um siebenundzwanzig Minuten überschritten (sehr genau wurde ihr das jetzt nachgerechnet!). Sie mußte mit der Straßenbahn kommen; eine solche war eben hier eingelaufen, ihre aussteigenden Fahrgäste entlassend. Bis zum nächsten Wagen blieben mindestens fünf Minuten. Zudem führte ja Eros-Gambrinus die Regie und kürzte die Folter: jetzt (während Negria sich erfreut dessen bewußt wurde, daß er Mary gegenüber gänzlich im Rechte und sozusagen gedeckt sei – denn mehr als eine halbe Stunde durfte sie ihn keinesfalls warten lassen, nein, so was gab es bei ihm einfach nicht!) – eben jetzt schwang die blinkende Glastür, kam die ersehnte Gestalt zum Vorschein und leichthin schreitend beiläufig auf ihn zu. In spitzem Winkel liefen die Wege auf der anderen Seite des Platzes zusammen, Negria lüftete mit Schwung den Hut und begrüßte die junge Frau wie eine alte Bekannte. Aber dann sah er zu, sie von hier wegzusteuern (er, alter Bootsmann) und so schritten sie denn hinab an die Lände, zum Strom.
    E. P. und seine spätere Gattin haben an diesem Nachmittage Glück gehabt, sie konnten verfrüht dem Büro entweichen. Der Abteilungs-Chef hatte wohlwollend unter der Hand wissen lassen, daß die Angestellten heute nicht das Ende der Arbeitszeit abwarten müßten, da alles Nötige bereits getan sei (zudem war sein Direktor mittags abgereist). Und so gingen denn die Damen und Herren einzelweis nach einander weg.
    E. P. wartete auf Roserl in einer Conditorei, die es da an der Schottengasse gab, sie wollten noch rasch den Kaffee nehmen und dann hinausfahren ins Grüne. Alles war in stupender Weise von der Sonne überflutet, die vom Westen her in dichten Goldnebeln durch die Straßen brach.
    Da kam sie. Er preßte ihren Anblick in sich hinein wie man etwas ans Herz drückt, oder einen mit lindernder Salbe bestrichenen Verband auf eine Wunde. So war sein Gefühl. Ins Genick gebissen hätte er Roserl dagegen niemals. Und er hätte auch ihretwegen keinen Freund verloren. Niemand machte sie ihm streitig.
    E. P. hatte viele Wunden, sozusagen ›prä-traumatisch‹, also konstitutionell. Hätte es kein Schwert gegeben, ihm Wunden zu schlagen, diese wären von selber an ihm aufgebrochen. Aber der Schwerter gab es ja auf den nicht uncharmanten Fluren seines Lebens fast so viele wie scharfe Gräser auf einer Wiese.
    Von Nußdorf sind sie dann stromaufgegangen, gegen Kahlenbergerdorf zu, um von dort aus auf steilem kurzen Weg die Höhe zu gewinnen und nochmals die schwindende Sonne. Bei der Kuchelau kreuzte ein sehr elegant gekleidetes Paar ihren Weg, das ganz offensichtlich aus einer Heurigenschenke kam: als Abzeichen gewissermaßen trugen die Beiden zwischen sich in der Mitte den Wein, und zwar in einer großen Korbflasche (zu Wien sind solche Korbflaschen ungewohnt, zumindest nicht landesüblich) … sie trugen dieses Gemäß oder Gefäß auffallender Weise gemeinsam, sie schlenker ten damit, man hörte schon von weitem ihr lautes Lachen, ja, sie schienen sich ein wenig um den Wein zu balgen? Jedenfalls waren diese Dame und dieser Herr in hohem Grade unbekümmert und ausgelassen, auf der Höhe der Situation, möchte man sagen, und gleichsam die ganze Breite der sonst leeren Fahrstraße einnehmend. Unser idyllisch-resigniertes Pärchen mußte ihnen, wie unter Zwang, nachblicken, als sie vorüber waren, es blieb wirklich nichts anderes übrig. Und da sahen sie denn, daß es sich hier um eine Einbootung handelte; eben sollte die Bootsflasche rückwärts verstaut werden, jedoch der Kapitän, über das Achterdeck seines schmucken Fahrzeuges gebeugt, schien sich's noch anders zu überlegen, er kramte dort unter der Steuerbank herum und brachte schließlich aus irgendeiner Kassette zwei blanke Weingläser hervor: es war der Bootstrunk, der Fahrt-Trunk, von dem aber einiges danebenging, ins Wasser,

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