Die Strudlhofstiege
hatte die Fenster noch nicht ganz verlassen und schlug die weißen Linien auf den Tischen kräftig aus dem Grau und Braun des Raums heraus. Melzer, das Unerwartete dieser Lage auf sich nehmend, wie ein rasch umgeworfenes Gewand, in dessen Ärmel er noch nicht den Einschlupf gefunden, bewegte sich eilig auf Editha zu, und da auch ihr Schritt kein langsamer war, sondern ein leichter und schneller, mußten sie auf halber Länge des neben den ausgedehnten Tischen freien Randstreifens zusammentreffen. In diesem Aufeinander-zu-Gehen lag für den Major seltsamerweise das Vorgefühl von etwas Entscheidendem, das die wahre Lage beim Begegnen würde sichtbar machen. Editha sah neu und fast fremd aus: sie trug Weiß, es hob ihr Blond noch mehr. Und er konnte sehen, und er sah es wohl und unabweislich, daß ihr Blick den seinen von weitem schon hielt. Er spürte etwas vom ›Ernst der Lage‹, in ganz ähnlicher Weise wie gestern neben René Stangeler auf der Strudlhofstiege, und durch ein unsagbar kurzes Zeitteilchen war auch das Rot von gestern abend wieder da, aber heller, glänzend, wie Lackleder. Nun war sie heran.
Jedoch alles schwand jetzt bei erreichter Nähe und im Sprechen; was blieb, war des Majors Bedürfnis, ausnahmslos ›ja‹ zu sagen auf die Dinge, welche sie jetzt schnell und lächelnd vorbrachte, jedenfalls zuzustimmen, nichts abzulehnen, nicht sich zurückzuziehen. Alles in ihm stand vor ihr offen, weit wie ein Scheunentor; nicht Schlagbaum, Ring und Wall waren da, sondern nur der Wunsch, sie noch ein wenig festzuhalten, daß sie nicht gleich wieder ginge und ihn hinter sich lasse. Aber nach zwei Minuten war sie schon wieder fort. Melzer hatte aus irgend einem Grunde von Editha und dem Rittmeister heute morgen telephonisch nicht erreicht werden können: und sie wollten ihn wissen lassen, daß Eulenfeld für den Nachmittag und Abend des kommenden Samstags ein Automobil zur Verfügung haben werde – von einem Bekannten, oder durch's Geschäft von Seiten eines Kunden, oder durch einen der amerikanischen Ärzte, mit welchen er umging, wer mochte sich bei dem Rittmeister so genau schon auskennen?! – und daß sie sehr wünschten, er möge sie auf einen Ausflug in die Umgebungen von Wien begleiten und sich also für den Samstag nichts vornehmen und sich nicht anderweitig verabreden. Der Rittmeister wollt' es so, daß man dies gleich mit Melzern abmache.
»Und vorige Woche waren Sie plötzlich weg«, hatte Editha gesagt.
Ihm dünkte, ihr weißer und blonder Schein stehe noch im Raume. Er sah über die hellen Linien der aufgereihten Pakete. Eben war die Tür hinter Editha zugeklappt. Natürlich hatte Melzer versprochen, Samstags mitzufahren.
Eine halbe Stunde später wurde Thea Rokitzer gemeldet. Sie schickte sogar ein Visitekärtchen herein, was Editha Schlinger nicht für nötig befunden hatte. Man muß sagen, die Pichler hatte es damals wirklich eilig gehabt, Thea auf die Beine zu bringen. In der Tat war sie gleich nach dem Beisammensein mit Stangeler zu ihr gegangen, schon auf dem Heimwege befindlich, diesen mit plötzlichem Entschlüsse verlassend, um sich in die Alserbachstraße zu begeben: und Thea war da, saß im Zimmer rückwärts, gegenüber dem gewissen Büffet. Was folgte, war nicht ganz leicht: die Rokitzer sträubte sich. Aber bald hatte Paulas Autorität gesiegt und das Lämmlein den nicht ganz leichten Gang zu tun versprochen. Ja, am nächsten Morgen schon um zehn Uhr! Eine Einladung muß mit Schicklichkeit rechtzeitig überbracht werden. Und Paula wollte ihre Gäste am Tage nach Mariä Geburt bei sich haben: das war am kommenden Mittwoch, dem neunten September (mit dem Wetter hat sie dann knapp, aber doch Glück gehabt, das muß man sagen! Denn am Feiertag selbst war's kühl und unfreundlich; der kam aber wegen familiärer Beanspruchung nicht in Betracht; Mittwochs jedoch sollte der Werkmeister, ihr Mann, über Tag frei sein, da er die Nacht vom Dienstag in der Staatsdruckerei durchzuarbeiten hatte). Paula schien in diesen ganzen Sachen zu jener Entschlossenheit gelangt, welche keine vermittelnden Zwischenstufen und sanftsteigenden Rampen von Aufschüben mehr nötig hat, sondern die kurze Enterbrücke in's Handeln, die Fallbrücke zwischen Innen und Außen, sogleich schlägt.
Der zihaloide Amtsdiener bewies ein bemerkenswertes Gefühl für Abtönungen als er Melzern, der inzwischen in der Kanzlei wieder diktiert hatte, mit unterdrückter Beflissenheit mitteilte, er habe die junge Dame in des
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