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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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René«, sagte Grete und nahm ihn um den Hals. Sie verweilten nun, einander umarmend, gleich hier hinter der wieder geschlossenen Tür.
    Über den kommenden Sonntag, sagte Grete, könne sie nicht ganz verfügen, auch über den Feiertag am Dienstag nicht, weil da Titi eben aus Paris zurück sein werde; aber nach Mariä Geburt am Mittwoch, würde sie so gerne mit René in's Grüne gehen, den ganzen Tag über, wenn möglich: sie sehne sich so sehr danach. Hoffentlich sei das Wetter dann besser und wärmer. Der Vater habe ihr diesen Tag ganz frei gegeben, sozusagen als Entschädigung für die große Anstrengung vom gestrigen Mittwoch. Und weit gehen, durch viel Wald! Und etwas zu essen könnte man sich einfach mitnehmen, und Tee oder Kaffee. Ja? Sie freue sich schon jetzt darauf! Ja?! Durch den Lainzer Tierpark wandern. Bis zum Hirschg'stemm.
    Sie waren indessen hineingegangen und in Gretes Zimmer gelangt. In dem Augenblicke als René diesen Raum betreten hatte, der ihm nicht nur gewohnt war, sondern eigentlich grad im Gegenteile immer neu – das schwarze dicht gefüllte hohe Büchergestell, über welchem eine farbige Reproduktion von Giorgiones ruhender Venus hing, ein breiter gestickter alter Klingelzug daneben, freilich nur als Dekorations-Stück – hier nun, beim Eintreten, beim Begrüßtwerden und Umgebenwerden von diesem gleichsam weiteren Kleid der Geliebten, dachte René einen Gedanken aus und zu Ende, durch welchen ihm gestern abend hier unten vor dem Haustor der unvermutet erscheinende Major Melzer einen Strich gemacht hatte: daß nämlich ein glatter Entschluß am Ende alles im einzelnen ihm Widerstrebende ebenso glatt niederpressen müsse, ja, wie eine Straßenwalze den Schotter … »Ja«, sagte er, »da komm' ich schon am frühen Vormittage zu dir, Mittwoch, und hole dich ab und wir bleiben den ganzen Tag draußen bis es dunkel wird!« Sie hielten einander wieder umfangen. Sie sagte wegen gestern kein Wort, aber es glänzte ihr dafür heute aus den Augen. Bei René war eben jetzt eigentlich alles ganz gleichzeitig geschehen: ein leichtes Erschrecken wegen des Mittwochs, den Grete wählte, das tiefe Durch-Ziehen des gestern nicht zu Ende Gedachten, das Hinwegsetzen über ein sich bietendes Hindernis (wie mit verhängtem Zügel – da mußte eben später mit Thea Rokitzer oder dem Major telephoniert, dann mußten eben der Paula ein paar Zeilen geschrieben werden, die ihr's begreiflich machten …), das Zustimmen zu Gretes Vorschlag.
    Es geschah noch etwas, und dies war sozusagen wuchtiger.
    In der Nähe körperlicher Berührung, als Grete sich in einen Sessel niedergelassen hatte – und René saß vor ihr am Boden auf dem dicken Teppich, den Kopf an ihre Knie gelehnt – empfand er plötzlich und ganz erstmalig (zum ersten Mal in seinem Leben) das ungeheure, das nicht geheure Glück des Besitzes: das Hereinrücken gleichsam ihres Körpers mit seinen natürlichen Reizen, Waffen, Rüstungs-Stücken, Vorwerken und Bastionen – denen gegenüber es bisher ein im Grunde nur sehr auswärtiges Lagern und Lauern gegeben hatte, immer in verhältnismäßiger Helligkeit, und das Einzelne im Aug' – das Hereinrücken über eine innere Grenze, die bis auf den heutigen Tag unüberschritten geblieben war. Seine Hand lag auf ihrem Knie, und jetzt fühlte er's, als schmölze der Stoff des Kleids hinweg, als wüchse ihr Knie mit der Rundung in seine hohle Hand, ja, als würde es diese selbst. Es senkte sich ein gemeinsam sie beide Umhüllendes langsam und mächtig von oben herab (er stellte sich dieses wirklich so vor wie einen ungeheuer großen Teekannen-Wärmer, der nun Grete und ihn umschloß und deckte). Er saß klein auf dem Teppich vor ihr und enthielt und wußte in sich zugleich wie eine zündbereite Mine und Ladung die eigene Kraft, die aus dem Zwinger springen würde auf das erste kleinste Zeichen: aber er gab ihr's nicht. Er hieß sich nicht aufstehen, Grete zu überragen, sie zu überwölben mit diesem unverwüstlich blasbalgenden Thorax, der allein schon, mit der Viertelkraft nur des linken Arms vereint, genügen mußte, eine zarte, helleno-klassische, langhalsige Grete Siebenschein in die Ohnmacht zu drücken. Er saß klein auf dem Teppich und blieb klein und fühlte, was er zu besitzen das nicht geheure Glück besaß, in langen Wanderzügen über eine jetzt offene Grenze hereinwogen, ganze Volks-Stämme der Aphrodite: das Volk der Hände, zartgegliedert und saitenkundig, das Volk der Schultern, wie von

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