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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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seitwärts das keineswegs Unverbindliche seines Umgangs und seiner Gespräche mit René Stangeler (obwohl doch deren im ganzen erst zwei stattgefunden hatten, das erste hier auf den Stiegen). Sie standen eine Weile schweigend nebeneinander, und daß sie hier zusammen verweilten und im Schweigen verharrten, schien fast verbindender als jedes geredete Wort. Melzer gedachte des Frühlings und ihres Stehens hier an der gleichen Stelle mit Editha. Nichts mehr ließ sich wegschieben, abdrängen, ersparen. Was erspart war, mußte verschwendet werden, drückender Schatz, um Neuem Platz zu machen. Sie reichten jetzt einander die Hände und der Major sah etwas verstohlen dem Stangeler nach, wie dieser durch die leere Strudlhofgasse langsam davonging, einen Mondstreifen kreuzend, der sehr deutlich vom Parke des gräflichen Palais her über dem Gehsteig lag. Dann wandte sich Melzer zur Stiege und tauchte hinab, Rampe nach Rampe, und fühlte jetzt erst, allein, auf halber Höhe haltend, den Hauch des Grüns in der Nacht, als hätte dieser Duft vollkommener Stille und Einsamkeit bedurft, um hervorzutreten. Und wirklich, die Stiegen brachten es ja wieder einmal fertig, vollends verlassen zu sein, trotz der keineswegs sehr vorgerückten Stunde.

    Plötzlich, am folgenden Morgen, vor dem vom Mädchen der Frau Rak hereingebrachten Teebrett stehend, erschien dem Majoren René Stangeler als im höchsten Grade unglaubwürdig, ja, als außerhalb jeder Glaubwürdigkeit sich herumtreibend. Melzer rutschte gleichsam aus – wär's bis ins Dingliche gegangen jetzt, er hätte den Tee verschüttet – und machte eine Art Ecke über den gewissen zarten Rand hinaus, an welchem entlang er sich geführt fühlte. Er dachte das Wort ›Phantast‹. Ganz wohl war ihm nicht, als er dies selbstbereitete Mittel, das ihn von seinen Erwartungen befreien sollte, nunmehr hinabgeschluckt hatte. Er trank von dem dunklen starken Tee noch nach. Es wollte sich nicht ganz setzen, beruhigen, fügen.
    Zudem, noch etwas wirkte in Melzer ärgerlich anhaltend nach. Irgendwann im Laufe des Abends – war's nicht schon am Ende und auf dem Wege zur Strudlhofstiege gewesen? – hatte René seiner Verwunderung darüber Ausdruck gegeben, daß der Major nicht am Kondukt des verstorbenen Feldmarschalls Conrad von Hötzendorf teilgenommen, der doch an diesem Nachmittag stattgefunden habe?! Übrigens sei die Zuschauermenge, so um drei Uhr herum, wohl kräftig begossen worden, durch den Platzregen. Melzer hatte darauf gar nichts gesagt, kein Wort. Er besaß die unschätzbare Eigenschaft, in Fällen plötzlicher innerer Verwirrung und Zwiespältigkeit zu schweigen (während andere sich gerade dann durch den Drang zum Reden um jede Möglichkeit einer Klärung bringen). Freilich war ihm solche wichtige eigene Qualität nicht bewußt. Im Amt, gegen zehn, wurde ihm eine Dame gemeldet, die ihn zu sprechen wünsche. Melzer befand sich in einem rückwärtigen Zimmer beim Diktat, das augenblicklich zu unter brechen nicht gut tunlich war, auch hielt er sich jetzt gleichsam daran fest: und sagte also dem Amtsdiener, er lasse bitten, ein wenig zu warten; dieser, gutartiges Zihaloid, das doch die ungewöhnliche Anmeldung mit einiger Beflissenheit vorgebracht hatte, erwiderte wie stets »Jawohl, Herr Major« (nie: ›Herr Amtsrat‹), und verschwand.
    Das Ende des Briefes ließ sich indessen nicht länger mehr hinaus schieben, und während Melzer jetzt den René doch gewissermaßen rehabilitiert sah, festigte sich zugleich seine eigene Lage Thea gegenüber zu einer mehr väterlichen und erschien, so verpuppt, durch einige Augenblicke als vollends harmlos.
    Er ging hinaus. Der Diener, in einem anliegenden Kabinette, das Melzer durchschreiten mußte, deutete, zugleich öffnend, auf die Flügeltür von einer Art Vorsaal, der eigentlich zur Registratur gehörte, jedoch saß niemand darin, es war nur ein Aufbewahrungsraum für minder wichtige Faszikel, für Drucksachen und Material. Editha, am anderen Ende vor den Regalen und mit dem Rücken gegen Melzer stehend, wandte sich herum und kam ihm durch die Länge des Raumes entgegen, an dessen einer Seite entlang den Gestellen gehend, denn die Mitte war von aneinander geschobenen Tischen ganz eingenommen, die eine geschlossene große Fläche bildeten, darauf man zahlreiche in weißes Papier geschlagene und ganz gleiche Pakete zu irgendeinem Zweck in zwei senkrecht gekreuzten Reihen gelegt hatte. Die Sonne, hier nur am frühen Vormittage verweilend,

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