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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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ungerufene Bild innerlich schaute. Ein Schatz an Bemeisterung, an geleisteter Zurückhaltung, zerrann und zerfiel und nahm sich kindisch aus und lächerlich, aber in ganz anderer Weise lächerlich, als dies etwa dem Leutnant Melzer von Trnowo erschienen wäre, der zu Wien im ›Hotel Belvedere‹ abzusteigen pflegte, in gewissen Fällen aber zwischendurch auch im ›City‹.
    »Und von wem kommt die Einladung?« fragte er, nach solchem kurzen Durchsturz durch sehr verschiedenartige Doppelböden.
    »Von einer jungen, hübschen Frau Paula Pichler, die ich sehr gut kenne, seit meiner Bubenzeit nämlich. Frau Pichler möchte Sie zusammen mit Thea Rokitzer einladen, mit wel cher sie eng befreundet, ich glaub' gar verwandt ist, und mich noch dazu. Der Herr Pichler, ein Werkmeister aus der Staatsdruckerei, wird auch dabei sein. Sie haben ein kleines Haus und ein Garterl in Liechtenthal. Thea wird ihnen diese Einladung noch persönlich überbringen.«
    »Das ist aber sehr herzig«, sagte Melzer. Er hatte eine Empfindung, als schlüge es warm, fast heiß, an seiner inneren Körperwand empor. Zugleich war ein Rot da, das er schon lange zu kennen meinte, vielleicht geträumt. Aber dies stammte jetzt von dem früheren Bilde. Er hatte es zu den zerschossenen Panzerschiffen hinzugedacht, als Feuer etwa von Bränden, die aus den getroffenen Stellen flammten, vielleicht sogar als Blut, in Lachen oder Bächen? »Wie kommt jedoch«, so fragte er jetzt, »Frau Pichler auf den Gedanken, mich einzuladen, trotzdem sie mich gar nicht kennt?«
    »Die Thea wird ihr halt von Ihnen erzählt haben«, sagte Stangeler. »Und von daher der Wunsch, Sie kennen zu lernen.«
    »Eigentlich versteh ich's nicht«, sagte Melzer.
    »Wir werden ja sehen«, meinte Stangeler beiläufig. Für die Tendenzen der Pichler war er eigentlich halb blind und nichts weniger als deren Emissär. Aber eben darum vielleicht machte er die Sache hier ganz geschickt, weil vollends nebenbei.
    »Thea wird Sie wahrscheinlich aufsuchen«, sagte er noch. »Die können Sie ja dann Genaueres fragen.«
    Dieses letzte Widerhäkchen, von René gar nicht als solches gemeint, fing und hielt bei dem Major. Es blieb den Rest des Abends hindurch fühlbar, es spannte ein wenig und sogar noch am nächsten Morgen.
    Und brachte jetzt schon einen ersten Riß in den zarten und gespannten Spiegel des bisherigen Gespräches und Beisam menseins. Sie wurden daraus entlassen, fielen heraus und blieben liegen, wo sie hingehörten. René Langohr und Krebs Melzerich (aber der hatte sich doch im ganzen gut gehalten). Dem Major schien wirklich das Zimmer mit seinen Einzelheiten näher zusammenzurücken, stehender und handhafter, als wäre es bisher in einer Art von Schweben befindlich gewesen. Noch sank ein letztes, geschlungenes Rauchband zum leeren Kaffeegeschirr, als Stangeler sich erhob, erstaunlicherweise ohne die Hände und Arme zu gebrauchen, sondern nur über die gekreuzten Beine, ein Kunststückchen, das dem Major gefiel. Aber er sagte nichts.
    Als René sich anschickte zu gehen, fühlte Melzer wenig Lust jetzt hier allein zurückzubleiben, sondern erbot sich, jenen ein Stück zu begleiten.
    »Ich geh' zu Fuß«, sagte Stangeler. »Und über die Stiegen.«
    Melzern erschien dies fast selbstverständlich.
    Es war erst zehn Uhr und zehn Minuten, wie sie nicht ohne Verwunderung feststellten. Sie gelangten an der Einfahrt zum Palaste vorbei in die Liechtensteinstraße, während ihnen die wenig gekühlte und bei leicht getrübtem Himmel vollkommen windstille Nachtluft mantelhaft um Gesicht und Glieder lag. Als sie dem Geräusch des Brunnens und dem unteren Ende der Stiegen näherkamen, sahen sie diese in dem hellen Schein der sechs Kandelaber sich emporbauen, zwei davon unten und oben, und an den Wendungen der Rampen je einer, von Grün umsponnen. Das Licht war immerhin so stark, daß es den Mond, der eben an diesem Tage voll geworden, kaum zu sichtbarer Wirkung kommen ließ; und sie bemerkten erst oben und zurückgewandt, daß die leuchtende Scheibe – sie schien kalt, fern und klein – rechter Hand über der Dachkante eines hohen Hauses der Pasteurgasse emporgestiegen war, von dünnen Zweigen und Laubwerk teilweise verdeckt und durch dieses glitzernd. Die Stiegen lagen leer. In das Gemisch aus dem Mondschein und dem elektrischen Lichte fühlte Melzer geradezu die zerbrochene Stelle jenes Walles und Ringes starren, hinter welchem er nun seit Monaten lebte. Und zugleich streifte ihn schwer und von

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