Die Strudlhofstiege
millefleurig, colognös oder chyprig. Aber ein Sektionsrat und Chronist, der mit gestielten Ad-notam-nehm-Äugerln*
* Dieser Ausdruck wird als direkte und mündliche Tradition dem unvergeßlichen Anton Kuh verdankt, grand enfant terrible de la littérature.
den Zerfall einer Ehe im letzten Stadium observieret (evident hält, more zihalistico-austriaco-hispanico leviterque grantulans et raunzens); dieser Zerfall zwischen Camy und Kajetan, diese Putrefaktion selbst; das leichte Hinschwitzeln des allezeit fuchtelnden Feschaks Negria (eben damals noch fördernder Kunstfreund in den letzten Zügen) auf die Scheichsbeutel Angelika, wobei diese ganze Angelegenheit schon irgendwie im Stadium der Austrocknung sich befand und also wie heißer, dürrer, fast staubiger Sand roch, an die Bade-Anstalten in Kritzendorf und Greifenstein und also doch immer wieder auch an diesen verwichenen Hochsommer und die scheichsbeutligen Fuchtulaturen Negrias erinnernd, welche ja zu gedachter Jahreszeit ihren Höhepunkt erreicht hatten: in Ansehung von alledem wird man jetzt noch besser verstehen, warum die organische Chemie Strukturformeln verwenden muß und nicht immer gut riechen kann, ferner, daß bei der Psychologie oder Seelen-Kunstschlosserei oft ein analoger Fall eintritt, und endlich, daß die Gesellschaft, in welche Melzer am Samstag geriet, schon irgendwie fürchterlich war.
Und vor allem: weit zahlreicher, als der Major erwartet haben mochte. Wenn dieser vielleicht vermeint hatte, er würde am Samstag mit Editha und Eulenfeld so ganz simplement ein wenig ins Grüne fahren, nach Rodaun oder Kalksburg, um durch ein Tor in die Wälder des sogenannten Lainzer Tierparks hineinzuspazieren und abends etwa beim ›Roten Stadl‹ zu essen: dann war's ein totaler Irrtum gewesen. Denn was hier vor des Rittmeisters Wohnhause anfuhr, mit Motoren heulte, auf den Treppen lärmte, gackerte, schrie, im letzten Augenblick vor der Abfahrt – drei Automobile – noch sämtliche Plätze tauschte (dies alles von Frau Wöss ad notam ge nommen), das mußte Melzern den Eindruck einer Kolonne, einer Ausrückung schlechthin machen.
Er fuhr am Schluß. Das heißt, er fuhr nicht, er wurde gefahren, mitgenommen. Am Volant vorne saß der Rittmeister, neben ihm eine Neu-Erscheinung, mit Knall-Bonbon-Kopf: so heftig gelb. Aber das Wasserstoffsuperoxyd ist ja nicht explosiv. Der Rittmeister fuhr, mit großen, schweren, gelben Lederhandschuhen (nicht zugeknöpft), ohne Hut, flatternden Haarsträhnen (sie wurden merklich dünner), Monokel. Er warf den Wagen hinter den anderen drein um die Ecken. Melzer saß rückwärts neben Editha in dem schmalen, gutgeschnittenen Fahrzeug. Er blickte sie nicht von der Seite an, hielt auch sein Auge nicht gesenkt auf das rote Lackleder der Polsterung. Sie saßen halb einander zugewandt (und fielen ineinander, je nach des Rittmeisters Wendungen).
Den vordersten Wagen führte Höpfner, der Versificator, zur Zeit Propaganda-Chef eines bedeutenden Transport-Unternehmens.
Es ging irgendwohin hinaus, es brauste und entführte. Es entführte aus einer unhaltbaren Lage, den schmerzlich und fast drohend sich erhebenden Gefühlen für ein viel zu junges, viel zu schönes Mädchen. Nun erst, da er entwich, bekam das gegenwärtig offene und obendrein und neuestens breit aufgebrochene Tor für Melzer durchaus Sinn und Recht. (Der es ihm zum guten Teil geöffnet hatte, den hatte der Major jetzt freilich ganz vergessen, er berief sich nicht auf ihn, er nannte nicht innerlich seinen Namen, er zitierte den René nicht, wie wir den Anton Kuh in einer Fußnote. Würden alle Urheber-Rechts-Verletzungen im Leben ebenso verfolgt werden wie in der Literatur, der Welt gesamtes Gerichtswesen reichte nicht aus, um die Prozesse abzuwickeln, die ständigen reziproken AnleiheVerhältnisse auf dem Markt unserer Vorstellungen zu klären.)
Aber, schon an der Lände des Donau-Kanals, Mittwochs, als er mit dem Rittmeister und Editha von Nußdorf dem Wasser entlang hereinspaziert war, dessen rasch fliehenden und schlierenden Spiegeln nachblickend; an diesem Nachmittage schon hatte Melzer mit Trauer empfunden, daß sein Verhalten während des ganzen Sommers – unseliges Verhalten und in einem doppelten Sinne – begann, unausbleibliche Früchte zu tragen.
Er mußte es hinnehmen und es war wirklich sein Werk. Sie schien ihm verändert und wie seelisch erkältet, in wortkargem Gehen, und nicht neben ihm, sondern auf der anderen Seite neben Eulenfeld. Das war
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