Die Strudlhofstiege
Pichler, die ihre Sache besser gemacht hatte, nämlich bei der Gelegenheit, als sie den Amtsrat und seine Frau einzuladen persönlich erschienen war, sogleich nach der Rückkehr des Ehepaares aus Oberösterreich vom St. Valentiner Zihaloid (mit Obstkörben, jedoch diesmal ganz offiziellen: und, seltsam genug – gerade bei deren Verarbeitung wurde die Frau Amtsrat am Unterarme gezüchtigt!). Frau Rosa übrigens war nicht daheim gewesen. So hatte denn die Pichler ein Fühlhorn vorgestreckt. Freilich, ohne von Theas St. Valentiner Aktion (Bäh, bäh!) zu wissen. Auch die ihre mißlang. Die Einladung wurde, gleich auch im Namen der Gattin, zeremoniös angenommen, die Auskunft ebenso erteilt, jedoch war diese von der gleichen chinesischen Undurchdringlichkeit wie die seinerzeitigen halboffiziellen St. Valentiner Auslassungen Zihals in bezug auf den gleichen Gegenstand, nämlich den Ankauf größerer Posten von Rauchsorten durch private Personen. Für uns natürlich liegt es nahe zu denken, der Amtsrat habe einfach nichts gewußt und sich mit ein paar Redensarten aus der Affäre gezogen. Für Thea sowohl wie für Paula lag solches zu glauben keineswegs nahe: ein Amtsrat ist ein Amtsrat, und wer denn soll da wissen, was verboten und was erlaubt sei, wenn nicht eine Amtsperson, lebe sie gleich schon in Pension! Freilich fehlte den Frauen – mochte auch der Zihalismus endemicus erblich in ihnen sitzen! – das volle Gewicht der Begriffe von Kompetenz und Inkompetenz. Es erscheint in dem ganzen Zusammenhange indessen als bezeichnend – für Zihal nämlich – daß er seiner Frau gegenüber in bezug auf diese nun schon zweimal bei ihm erfolgten, und somit doch auffälligen Erkundigungen vollends schwieg: und wenn Frau Rosa Zihal überhaupt Kenntnis erhalten hat von tabak-anrüchigen Sachen (wir wissen es nicht und können also inkompetenzhalber darüber nichts sagen), dann ist ihre Aufmerksamkeit in diese Richtung keineswegs durch ihren Gatten gelenkt worden. Sie mag von den Sachen schließlich erfahren haben; etwa durch ihre unverheiratete Schwester, die Trafikantin, was aber we niger wahrscheinlich ist, weil diese den Dingen kaum Bedeutung beimaß, eher schon durch Frau Rokitzer und die Umtriebe (›ambitus‹ – hätte der Rittmeister gesagt, den's anging, der aber, zum Glück für seine gute Ruh, von der Existenz einer Hedi Loiskandl samt diesbezüglichem Bräutigam nichts wußte!) – eher schon durch die Umtriebe der Loiskandl also. Aber Frau Rosa ihrerseits wieder hat den Amtsrat Zihal, ihren Gatten, niemals befragt. Wahrscheinlich hielt sie ihn für inkompetent. Alle Frauen halten den Mann, der sie geheiratet hat, für mindestens inkompetent, wenn nicht für schlimmeres. Das wird seine Gründe haben. Jedenfalls steht fest, daß Zihal ihr nichts sagte und auch von ihr nicht gefragt wurde. Beleg: sein 1927 getaner und diesfalls kompetenter Bericht an Kajetan. Dem ›Doktor Döblinger‹ gegenüber war er überhaupt sehr offenherzig und gar nicht chinesisch.
Nun aber, Paula war inzwischen auch bei ihrem einstmaligen Chefin der Marc-Aurel-Straße gewesen (wir sehen sie ja überhaupt tätig!). Aber mit einem noch geringeren Ergebnis als bei Zihal, eigentlich also mit gar keinem. Der Doktor Adler – man erinnert sich seiner vielleicht flüchtig aus dem Tennisclub Augarten – hatte eine so große Freude, als er Paula wiedersah, daß er in seinem Arbeitszimmer nur so um sie herumhüpfte und ehrlich glücklich war zu hören, sie habe einen lieben Mann und ein herziges Mäderl. Er wollte Bilder sehen, und Paula war so klug gewesen, welche mitzubringen. Adler betrachtete die Photographien mit Entzücken, lief dazwischen hinaus, wo seine Klienten schon warteten, jedoch grüßend an diesen vorbei und in die Kanzlei, wo seine Fräuleins saßen, deren eines er unter Vorstellungen der Dringlichkeit zum Blumenhändler und zum Konditor sprengte, von wo sie bald mit einem riesigen Strauße roter Rosen und einer Bonbonniere für eine kleine Fürstin zurück kam. Draußen wähnten die Fräuleins den Doktor akut verliebt, aber das war er gar nicht, höchstens zeitweise noch immer in seine Frau.
Über die gegenständlichen Fragen Paulas aber rutschte Adler rasch hinweg, ja, erst hörte er ihr kaum zu, und ihre Fragen gingen in seinen viel zahlreicheren unter. Dazu muß man nun freilich halten, daß die Sache, wegen welcher Paula da ihre Bedenken vortrug, als bürgerliches Rechtsgeschäft, als Kauf, ja eigentlich einen Haken nicht
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