Die Strudlhofstiege
betraf – obwohl er's dann dorthin zu dirigieren wußte – sondern er war von jenen Abgängen, Entwendungen oder Unterschlagungen ausgegangen, die man schon im Frühsommer entdeckt und wovon auch die Zeitungen in der Folgezeit dann und wann Notiz genommen hatten. Hier bereits wurde also Melzer angesprochen. »Ich weiß von diesen Dingen fast nichts«, sagte er nun endlich, »ich muß mich damit entschuldigen, daß ich ja in einer Verwendung stehe, welche mit der Fabrikation, der Lagerung und dem ganzen technischen Teil nicht zusammenhängt, auch nicht mit den allfälligen Exporten und Transporten. Ich bearbeite eigentlich rein personelle Sachen. Aber in einem Fall, das weiß ich sicher, ist ein Einbruch verübt worden.«
»Wobei also weder einen Beamten noch einen Angestellten oder Diener ein Verschulden treffen kann.«
»Nein«, sagte Melzer, »es ist einfach Gewalt angewendet worden, so viel mir bekannt ist.« »Aber in anderen Fällen sind also doch Malversationen erfolgt, Unterschlagungen, wie man zu sagen pflegt?«
»Ja«, sagte Melzer, »leider muß ich das wissen, in meinem Referat. Man hat übrigens daraus kein Geheimnis gemacht, ist ja überall zu lesen gewesen.«
»In dieser ganzen Sache wird eine Untersuchung geführt«, sagte Zihal, »wie mir neulich erzählt worden ist. Das ermöglicht einen gegebenenfalls erforderlichen raschen Eingriff oder Zugriff der Sicherheitsbehörden, weil der Untersuchungsrichter beispielsweise die Polizei berechtigen kann, eine Hausdurchsuchung durchzuführen und dergleichen mehr. Jedoch sollen, wie ich ebenfalls erfahren habe (nun freilich – sogar zweimal! Aber hier übertrieb er doch ein wenig, der Amtsrat!), in den letzten Monaten private Käufer für größere Posten von Rauchsorten aufgetreten, beziehungsweise an den Detailhandel in Trafiken herangetreten sein, in rechtlich einwandfreier Form, da der gesetzliche Preis erlegt werden sollte …« Noch immer suchte Melzer sein Aprikosen-Fleckchen festzuhalten. Nun freilich mußte auch der Augenblick erscheinen, wo er sich selbst vor dem Briefkasten in der Porzellangasse stehen sah, während unvermutet Thea des Weges gekommen war. Am Freitag, dem 10. Juli. (Er verwunderte sich keineswegs über die genaue Evidenz dieses Datums – eine solche war ihm in allen Sachen der Vergangenheit, der ferneren wie der näheren, schon fast selbstverständlich geworden.) Er hatte sich in jenem Briefchen für den morgigen Samstag entschuldigt – aber aus dieser ihn damals drehenden Gletschermühle des immer wieder Zurückweichens fühlte Melzer sich nunmehr entronnen, das wußte er klar! – und er hatte in eben demselben Briefchen, das dann nicht durch die Post, sondern gleich durch Thea bestellt worden war (aller Wahrscheinlichkeit nach doch ganz verläßlich), Editha auch mitgeteilt, daß er ihr mündlich Auskunft zu geben vorziehe über etwas, was sie zu wissen wünschte: nämlich über den richtigen Weg bei der Beschaffung größerer Posten von Rauchsorten durch private Personen … Und später war davon nie mehr die Rede gewesen, obgleich Melzer eigentlich vorgehabt hatte, ihr für jetzt von jedem derartigen Einkauf abzuraten, eben wegen dieser ganzen Entwendungs- und Schmuggelgeschichten, und lieber damit noch eine Zeit zu warten (wozu sie das Zeug brauchte, war ihm unerfindlich, aber auch kein Gegenstand des Kopfzerbrechens gewesen). Nun also, bei des Amtsrats Reden, fiel ihm natürlicherweise Editha ein und Thea und der schwarzgelbe Briefkasten und seine angebliche Verkühlung und sein qualvolles Zögern.
Das war vorbei. Schon war die alte Qual durch eine neue abgelöst.
Und er hielt sich fest. An dem süßen Aprikosen-Fleckchen. ›Hintennach gut‹, dacht' er, ›daß Editha sich diese große Zigaretten-Kauferei aus dem Kopf geschlagen hat.‹
Sie fehlte in diesem Augenblick, Editha, sie fehlte in ihm da drinnen, ihre Stelle war leer, er mußte sie gewissermaßen vertreten (wie Zihal die Frau Rosa!). Er tat es sofort.
Und hielt sich mit den Augen weiter fest am süßen Halt. Dieser jedoch zeigte nun irgendeine Veränderung, wie eine Unruhe der flaumigen Oberfläche.
Aber Melzer griff mit dem Blick fest zu, er saugte sich gleichsam an, und so gelang es ihm, knapp bevor noch Thea den Arm wegnahm, ihre Körperstellung veränderte und sich mit einem kleinen Seufzer aufrichtete – immer dem Gespräche Melzers und Zihals gespannt folgend, und besonders den Worten des letzteren – so gelang es Melzer also, den früher
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