Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
Vom Netzwerk:
Mariä Geburt 1925 im Lainzer Tierpark eine Art – zumindest vom Gärtchen des SchachlHauses in Liechtenthal her gesehen! – Filial-Kosmos etabliert hatte; allerdings hätten die Herrschaften, welche diese Erscheinung bildeten, sie keineswegs nur dafür gehalten.
    »Die staatliche Verwaltung«, sagte der Amtsrat Zihal, »ist als eines der heikelsten und schwierigsten Gebiete des mensch lichen Daseins überhaupt anzusehen. Wenn man heute sagt, die Ämter breiten sich zu sehr aus und vergrößern sich überall, dann hat man schon die Amts-Ehre in Zweifel gezogen. Denn eben diese besteht darin, daß alles im bescheidenen Rahmen der reinen Zweckmäßigkeit bleibe: der allerhöchste Dienst fordert für sich immer nur den allerkleinsten Raum; für dessen Bemessung sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Richtlinien, wenn nicht geradezu Vorschriften, an die Hand gegeben. Dem gegenüber aber bleibt gleichwohl irrtümlich jedes Vermeinen, daß ein Amt nur ein Mittel zu einem praktischen Zwecke darzustellen, bzw. abzugeben habe.«
    »Das versteh ich jetzt nicht ganz, Herr Amtsrat«, brachte Pichler bescheiden hervor.
    »Wir werden uns sicherlich gleich verstehen, lieber Herr Werkmeister, wenn ich Sie daran zu erinnern mir erlaube, daß jeder wirklichen Ordnung, im Hause wie im Staat, eines eigentümlich ist: man merkt von ihr gewissermaßen nichts. Unsere beiden vorbildlichen Hausfrauen hier werden das bestätigen (kleines, aber zeremoniöses Kompliment durch leichte Vorbeugung). Ordnung machen ist nicht schwer, Ordnung halten aber sehr. Die gemachte Ordnung kommt von seitwärts an alle dies-betreffenden Gegenstände heran. Die gehaltene Ordnung jedoch hält sich im Hintergrunde. Von der Seiten kann man, wegen der verzerrten Perspektive, nicht Ordnungmachen. Diese muß erfließen aus einem höheren Prinzip, sozusagen, das sich selbst schon genug ist: nämlich aus der Liebe zur Ordnung als solcher, nicht zu ihren vorteilhaften Folgen nur. Also, Herr Werkmeister: nicht rein zweckmäßig – aber nur so kann auch den Zwecken gedient werden. Angemessen ist keineswegs, daß die Ämter einen Zweck vortäuschen indem sie überflüssige Agenden – zum Teil mit KompetenzÜberschreitung – künstlich an sich ziehen. Sondern im Gegenteil: die reine und innerhalb der knappen Zweckmäßigkeit sich haltende Erfüllung des wirklich unumgänglich Notwendigen ist ihrerseits wieder eine ganz gegenteilige Vortäuschung, im höheren Sinne, denn nur unter solchem Pilgerkleide kann sich, mit Verlaub gesprochen, der blanke Schild der Amts-Ehre und des allerhöchsten Dienstes verborgen halten. Aber was spiegelt dieser Schild? Zwecke?! Das ist als irrtümlich anzusehen! Er spiegelt die Ordnung als solche und die Liebe zu ihr – damit aber auch zu den geltenden Vorschriften, und keineswegs nur ihrem Zwecke nach angesehen! – ja, er spiegelt die Ordnung nicht nur, sondern er leuchtet selbsttätig im eigenen Wirkungskreise von ihr. Zur Ordnung aber gehört es, daß sie verborgen sei. Sie ist als ein Amts-Geheimnis anzusehen. Das einzige wirkliche Amts-Geheimnis und streng reservat. Das Geheimnis der Amts-Ehre. Wer sie nicht unter einer peinlichsparsamen reinen Zweckmäßigkeit verborgen hält, verrät sie. Und darum beansprucht der allerhöchste Dienst immer den allerkleinsten Raum. Weil man von der wirklichen Ordnung beinah überhaupt nichts merken darf.«
    »Ja«, sagte Pichler, »das hab' ich jetzt verstanden. Bei uns in der Staatsdruckerei geht es eigentlich genau so zu. Aber Herr Amtsrat sprechen von einem ›allerhöchsten Dienst‹ – so hat man in der k. k. Zeit g'sagt, damals wie ich gelernt hab', ich erinner' mich noch. Heut' aber ist das doch was anderes.«
    »Ich glaub', da irren Sie sich, lieber Herr Werkmeister«, entgegnete Zihal freundlich. Er hob das kleine grüne Glas zum Munde, worin als ein blanker Funken Goldes der Wein lag, den man aufgetragen hatte. Die Sonne des sich neigen den Nachmittages schwoll jetzt im Gärtchen zu einer sonoren Pracht, die alles auseinander zu drängen schien und sich zugleich selbst schärfer interpunktierte durch die hervortretenden Schlagschatten der Obstbäume auf dem Grün-Gold des Rasens. Pichler sah gespannt auf Zihal und schien den Wein überhaupt vergessen zu haben. Die Zigarette in seiner ruhig auf dem Knie liegenden Hand baute eine lange freischwebende Aschenbrücke. »Weil ein Thronsessel in Schönbrunn oder in der Hofburg leer ist? Dafür kann der Himmel durch's Fenster besser in

Weitere Kostenlose Bücher