Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
Vom Netzwerk:
zu unternehmen. Sie hätte keine Zeit für ihn haben dürfen, oder sie hätte ihn mindestens irgendwo und irgendwie recht lange warten lassen müssen. Aber gerade diese Sachen – von anderen Frauen doch überall und mit sicherer Meisterschaft praktiziert – sie gerieten ihr nicht, auf die Dauer niemals.
    Ihre Dummheit war nicht profund genug dazu (dies freilich ist unsere Meinung, die Grete wußt' es nicht). Ihre Dummheit war nicht genug solide, nicht ›festgemauert in der Erden‹. Daher machte sie dann Sachen, die sie unter dem Maßstabe jener Dummheit – denn darunter stand sie ja doch! – für Dummheiten halten mußte.
    Auch ein anderes Pärchen war den Mauern der Stadt entronnen (da es von Seiten der Bodencreditanstalt noch einige Tage Nach-Urlaub genoß), wenn auch nicht jenen unsichtbaren Mauern, die, fast möchte man sagen, zum Glücke, überall sind, und also auch hier durch Wald und Flur liefen. Auf der anderen Seite der Kuppe, ebenfalls weiter unten, wo die Bäume begannen, saßen E. P. und Frau im kurzen Grase. Die saßen da. Und weiter eigentlich nichts. Sie saßen längst fest. In Luftlinie – oder eigentlich Erd-Linie durch die Kuppe hindurch – etwa zweihundert Meter von Grete und René entfernt. Auch hier Butter semmeln und Anchovis-Paste. Jedoch kürzerer Hals der Frau. Auf der Kuppe selbst, ganz oben, stand eine bemerkenswerte Dame: sie war's nicht nur wegen des exponierten Punktes, den sie hier bezogen hatte (beim Anstieg an Grete und René unweit vorbeikommend – absteigend sollte sie dann das andere und legale Pärchen in geringer Distanz passieren, solchermaßen die unsichtbaren Mauern in Wald und Flur ganz ungehindert durchschreitend). Sie war bemerkenswert auch wegen ihrer Persönlichkeit. Diese, hoch, schlank und kräftig, bot sich dem Beschauer (hier auf der Kuppe ist allerdings im Augenblick keiner) als einfach, geschmackvoll und für diesen einsamen Waldspaziergang zweckentsprechend gekleidet. Demgegenüber mußten jedoch Hut und Sonnenschirm auffallen. Der erstere war ein sogenannter Florentiner Strohhut, reichlich mit rotem Mohn garniert. Der Schirm aber gehörte nicht zu einem erwachsenen Menschen, sondern zu einem Kind oder einer großen Puppe; der gebogene Griff von Rohr war so winzig, daß er höchstens über dem Arm eines sechsjährigen Kindes hätte zu hängen vermocht. Der Farben waren zahllose an diesem Schirm, ja eigentlich alle überhaupt. Die Dame trug ihn aufgespannt über der linken Schulter. Sein Durchmesser war nicht viel größer wie der des Hutes. Strohhut und Sonnenschirm indessen schienen sich als völlig unwirksam erwiesen zu haben – oder waren sie erst später zu dieser Erscheinung hinzugekommen? – denn die Dame selbst war an Antlitz, Hals und Armen tief gebräunt. Wie Leder. Ihr hübsches breites Gesicht enthielt zwei Tier-Augen, groß und dunkel; es führten zwei Tunnels gleichsam in dieses Antlitz hinein, zwei Tunnels, die innen glänzend ausgelegt erschienen. Aus solchen Augen sah die Dame von ihrem erhöhten Standpunkte weit hin aus, mugel-ab und mugel-auf in die spinatgrüne Erhabenheit und eigentlich befremdet, weil es gar so viel davon gab. Es war die Malerin Maria Rosanka. Ohne jedes Handwerkszeug. Sie malte nie im Freien, sondern nur in ihrem Atelier: große Bilder, wie das Porträt des Amtsrates Julius Zihal (›Kniestück‹), aber auch ganz kleine und abscheuliche. Sie schwang den Sonnenschirm. Sie schritt die Kuppe hinab, gerade auf E. P. und seine Frau zu (und vielleicht war es ihr Wunsch, diese Leute durch nahes Vorbeigehen zu stören). Sie befand sich auf einem einsamen Erholungs-Spaziergang – eben dies brachte sie vor sich selbst durch das Sonnen-Schirmchen zum Ausdrucke – und hatte einen großen Teil des Tierparkes durchquert. Sie fürchtete sich vor nichts und vor niemand, und es ist ihr auch niemals etwas zugestoßen. Aus diesem Spaziergang hier aber entstand bald danach ein Ölbildchen im Formate von 20 × 20. Man sah darauf die Kuppe, jedoch zugespitzt. Es war ein Spitzkopf und zwar der eines alten Mannes, oben ohne Haar, den Haarkranz aber bildeten bei näherem Zusehen viele Pärchen, minutiös gemalt, alle in den tollsten und widerlichsten Verrenkungen. Dieses Bildchen nun hat ein Jahr später der Obermedizinalrat Doktor Schedik, Kajetans Schwiegervater, gelegentlich eines Atelier-Besuches bei der Rosanka gesehen und für einen beachtlichen Betrag sogleich angekauft. Im ganzen kann man sagen, daß sich hier am Tage nach

Weitere Kostenlose Bücher