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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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den Sessel fallen, möcht' ich fast sagen. Sie wissen, ich war k. k. Beamter mit Leib und Seele, ein winziges Raderl, ein ganz kleiner Schabsel Ihrer Majestät. Sie ist abberufen worden. Vielleicht sollen wir Ihrer derzeit gar nicht bedürfen. Wenn, wer immer, beiseite tritt, sieht man mehr. Der Herrscher ist gewissermaßen anonym geworden, wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben, sozusagen durchsichtig. Er entzieht die Quellen der Amts-Ehre keineswegs durch Seinen Weggang dem Auge, weil dieses Geheimnis des allerhöchsten Dienstes keineswegs als aus einer Person erfließend anzusehen ist, allfällig aber durch sie verdeutlicht werden kann. Wenn ich so sagen darf: die Republik ist vielleicht aus einem feineren, weniger sichtbaren Stoff gemacht als die Monarchie. In meinem Alter freilich bleibt man mit seiner Liebe und seinen Erinnerungen bei den früheren Zeiten. Aber warum soll ich nicht sehen, was mich heutigentags freut. Ich leb' recht gern.«
    Er schloß etwas unvermittelt. Die letzten Worte gaben Anlaß, die Gläser zu füllen und zu erheben, sie gaben auch Anlaß zu diesem oder jenem Trinkspruch, der bei erlöschender Spannung des Themas das Einst und das Jetzt und jeden beliebigen Gegensatz überhaupt freundlich und schlampig über ein brachte und verband (Theresia Schachl besorgte das). Jetzt erst wurde Melzer eigentlich des Staunens inne, mit welchem er Zihaln zugehört hatte, nicht gefaßt auf eine derartige Bekanntschaft: und während sein Herz wie hinter vielen Wänden lärmte, dem klopfenden Kolben eines beschädigten Pumpwerks vergleichbar, empfand er schon diese Dämpfung als eine große Wohltat, wie jemand, bei dem ein Zahnschmerz oder eine sonstige Nervenqual nachläßt und wie unter einer deckenden, wenn auch dünnen Schichte verschwunden scheint … Dermaßen wohltuend empfand der Major das Zusammensinken jener grausamen Stichflamme, die bei Thea Rokitzers unglückseligem Knix ihn durchzuckt hatte.
    Und nun lag er gleichsam auf einer dünnen, ihn zur Not tragenden Schicht, die durchsichtig war wie Eis über der Tiefe des Schmerzes und der Möglichkeit eines neuerlichen Absturzes in diese. Er hatte nicht viel Möglichkeit, sich zu bewegen, der Major. Er mußte sich ganz still halten. Er wollte jenen Absturz – dessen eigentliche Bodenlosigkeit ein hinter vielen Wänden klopfendes Herz doch nur entfernt ahnte – unbedingt vermeiden. Es liebt der Mensch alles, was er fühlt; und wenn die Vorliebe für ein Gefühl lebhafter ist als dieses selbst, so darf man ihn sentimental nennen; er sieht den eigenen Apparat, den Mechanismus, das funktionierende ›psychologische Beuschel‹ (derartige Ausdrücke stammen immer von Kajetan, auch so eine literarische Pest). Jedermann jedoch hört damit unverzüglich auf, wenn's ernst wird, wenn der atemraubende Preßgriff um's Herz kommt, wenn's da drinnen schon an's Leben geht: husch!, weg ist sie, die schöne Schwebe zwischen Hauptstimme und begleitender liebevoller Betrachtung (›und da freut sich der Mönch …‹), wenn's uns auf den Abgrund zuschwemmt, darin die unauslotbaren Wasser brausen, ganz grob und direkt auf ihn zu. Nun, man kann sagen, das eine sei noch nicht und das zweite nicht mehr eigentliches Leben … Aber die Entscheidung solcher Fragen ist jedenfalls und jeweils demjenigen ganz gleichgültig, der schon vor dem zweiten bangt. Und so verhielt es sich mit dem Major. Unter der dünnen Eisdecke zeigte sich bereits ein paradoxer roter Schein (Melzern nicht unbekannt, o nein, sehr im Gegenteil!), und sie stand in Gefahr, durchgeschmolzen zu werden.
    So saß er da neben dem lieben Werkmeister Pichler, Zihaln gerade gegenüber, und hatte ein ›langsames Gesicht‹, grad wie vor zwei Jahren, vor dem roten Auto stehend am Rande des Gehsteiges in der Porzellangasse, nach der Fahrt mit – nein, neben Editha. (Das Wörtchen ›mit‹ kann in diesem Zusammenhange nur in bezug auf Melzer verwendet werden: denn er war es, den man – mitgenommen hatte.)
    »Da müßte man eigentlich den Herrn Major fragen«, sagte jetzt der Amtsrat Zihal. Ein neues Gespräch wollte eben in Gang kommen. Es war mehr tratschiger als theoretischer Art und ging von dem Amtsrate deshalb aus, weil er zweimal mit dem Thema war infiziert worden: zuerst in St. Valentin durch Thea Rokitzer, welche seine Bahn-Elemente beim Wassertragen und Gießen im Garten gestört hatte, diese Angelegenheit zur ungeeigneten Zeit und in nicht angemessener Weise vortragend; sodann, zweitens, durch Paula

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