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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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nun ist sie dort außen eingebrochen! Und ich habe durch die ganzen Jahre Melzer und Paula in kontaktloser Evidenz geführt! Oder: ich habe Melzer zerteilt: damaliger Melzer, Leutnant. Heutiger Melzer. Jetzt heilt beides zusammen. In mir. Tragen Sie nicht jetzt manchmal auch noch so weite, weiße Tennishosen?« Diese reichlich sonderbare Ausdrucksweise des Herrn Doktor (!!) Stangeler aber wird eigentlich nur von uns aus jetzt als eine solche empfunden: dem Major war sie – wir wagen es zu sagen! – ohne weiteres verständlich, ja schon beinahe selbstverständlich. »Würde doch alles so heilen!« sagte er. Man sieht, er antwortete im gleichen Ton; und erzählte dann René, wie es am Mittwoch gewesen, von dem Gärtchen, dem Ehepaar Pichler, von der wür digen und lustigen Theresia Schachl, von dem Amtsrate (aber den versuchte er ganz vergebens darzustellen und wiederzugeben, Stangeler verstand das nicht recht) und auch, ja eigentlich vor allem, von dem Apfel, Aprikosen-Apfel, welcher unter der Torfahrt ihm entgegengerollt war. Merkwürdigerweise biß Stangeler gerade auf diese Frucht mit Begier (sonst zeigte bei Melzers Bericht sein Gesicht eher ein seitwärts Verbohrtsein an, wie in eine falsche Rinne geraten). »War es dick?!« rief er begeistert. »O ja, schon recht sehr!« sagte Melzer. »Und Sie haben die Armerln gespürt am Knie, warm?!« »Ja freilich, das war ja so reizend!«
    »Nein, so etwas!« rief René, als hätte man ihm die erstaunlichste Sache erzählt, »das sind mir Süßigkeiten!« Mit solcher Lebhaftigkeit also unterredeten sich die beiden dort in der Fürstengasse.
    Samstags und Sonntags mit dem Rittmeister: und zwar kam der an beiden Tagen zu Melzer (das Wetter war getrübt), mit Flaschen, etwas vergrämt, gleichsam sich selbst überflüssig, wie an eine Luft gesetzt, in welcher er auch nichts anzufangen wußte, aber gescheit, charmant, wie immer. Lange Beine weggestreckt. Flasche in weißer Papierserviette. Melzer trank nur Mokka, etwas zu viel. »Oh, das verehrte Räkchen«, hatte Eulenfeld im Vorzimmer gesagt, da die Frau Rechnungsrat grad heraußen stand. Er küßte ihre Hand. »Werde sie nur kein diesbezügliches Häkchen! Beati qui ambulant, et cetera, et cetera.« Das Latein verstand sie freilich nicht. Aber er gefiel ihr schon sehr gut, der Baron. Drinnen: »Ist er brav, der Pierrot? Nicht zu interessiert?« – »Bei mir gibt's nichts Interessantes«, hatte Melzer geantwortet. Er fragte nicht nach Editha, und der Rittmeister sprach nicht von ihr. Dagegen sagte er, nach längerem Starren auf den kleinen Wandarm rechts unten beim Kamin, über dem Bärenfelle: »Befremdlicher Auswuchs. Könntest füglich, genau drüber, knapp unter der Zimmerdecke, auch een' anbring'n lassen. Der Symmetrie halber.« (Mittleres GrunzZeichen). Melzer fiel es während dieser Worte – gleichlaufend und ohne Zusammenhang mit ihnen, also in kontaktloser Evidenz, um mit dem Herrn von Stangeler zu reden – außerordentlich lebhaft auf, daß er Eulenfeld eigentlich noch nie von dem Major und späteren Oberst Laska erzählt hatte, höchstens kurz erwähnend, nie ausführlich. Sein Staunen darüber platzte jetzt in ihm wie ein sprühendes Sternchen, leuchtete wie ein Stücklein hellglühender Kohle. Dabei wäre vor Jahren, in der ersten Zeit seiner Bekanntschaft mit dem Rittmeister, genug Gelegenheit und Anlaß dazu gewesen. Jetzt aber sprach Melzer nie mehr von militärischen Dingen. Es war zu spät. Zugleich jedoch ertappte sich der Major bei einem Gerinnsel von Vorstellungen, in welches er schon recht weit hineingewatet war: nämlich zu Thea Rokitzer von Laska zu sprechen. Nun setzte er dem Unsinn unverzüglich ein Ende.
    Zweimal Verabredungen mit Editha in der folgenden Woche: das zweite Mal in der inneren Stadt, Donnerstags. Sie verließen den ›Graben‹ und zogen sich bei Gerstner (eine damals renommierte Konditorei) zärtlich tuschelnd in ein Eckchen. Kurz vorher war dem Major, als er, noch allein, durch die Bognergasse ging, der Ernst von Marchetti begegnet, rund und glatt, aber diesmal wirklich ernst: eben habe er gehört, daß bei Grauermanns in Budapest irgendein Malheur passiert sei, aber eigentlich wisse er nicht recht was? Jemand vom Außenministerium habe wegen einer amtlichen Sache mit Teddy Honnegger telephoniert, und der hätte das einfließen lassen, auch, daß Etelka angeblich gewünscht habe, ihr Bruder, der René, möge sogleich aus Wien gerufen werden; den erwarte man also dort, das

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