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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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hell das Telephon. Er sprang hin, wußte, wer es war, noch bevor er den Hörer abgehoben hatte. Sein Herz überfiel ihn mit heftigem Klopfen wie aus einem Hinterhalt, wie hinter Wänden, die es gedämpft hatten, hervorbrechend. Im Hinspringen zum Apparat wollt' er es mit einem gedankenschnellen Raisonnement – daß doch gar kein Grund zur Aufregung vorhanden sei! – beschwichtigen, aber das half garnichts, es lärmte weiter, während Paula Pichler sprach, und ließ ihm knapp Atem, um ihr zu antworten (sie sagte dem Major freilich nicht, daß sie schon zum dritten Mal anklingle – zufälligerweise war sowohl am Freitag der vorigen Woche wie am verwichenen Montag niemand daheim gewesen, es hatten sich weder der Major noch seine Hausfrau gemeldet). Ob sie am Samstag-Nachmittag kommen dürften? Nun freilich, freilich! Er freue sich so sehr darüber, daß sie nicht auf ihn vergessen hätten (und also meinte er doch Thea mit). Nun war das Gespräch zu Ende.
    Nun war er allein. Nun ging das Herz wieder hinter die Wände, hinter eine nach der anderen, und klopfte entfernter. Bis Samstag.
    Und schon war Samstag. Der Kaffee duftete. Samstag, der 19. September. Der Pierrot hatte das Tischchen gedeckt, sehr brav, freilich auch interessiert. Von der Gasse unten kam Klingeln und Jaulen eines rasch vorbeifahrenden Straßenbahnzuges, der jetzt über den Gipfel vom Berg des eigenen Lärms brauste. Die Sonne schnitt eine dreieckige Fläche aus dem höchsten Stockwerk des Hauses gegenüber und lag gleißend auf dem weißen Bewurf. Der Major meditierte nicht, lag nicht auf dem Bärenfelle, warf kein Kaffeegeschirr um – behüte! Es war auch noch gar nicht herinnen, Frau Rak wollte durch ihr Mädchen in schönen Kannen auftragen lassen. Die Sauserei durch die Trópoi war überhaupt erledigt. Alles hatte sich verklärt oder geklärt, wenn auch keineswegs äußerlich schon. Aber, was sich vor genau achtundzwanzig Tagen hier in diesem Raume abgespielt hatte, war doch heute wieder anwesend, wie in einem unteren Stockwerk, dessen Decke allerdings beruhigend fest geworden schien; nur eine gewisse Lebhaftigkeit, eine Belebung wirkte da herauf, alles schwang wie über einem Hohlraum, einem Resonanzboden. Der Wandarm nah dem Boden rechts unten beim Kamine war übrigens verdeckt worden, wohl um Fragen zu vermeiden, durch einen Sessel, über welchen Melzer einen kleinen bosnischen Gebets-Teppich gelegt hatte, den er besaß. Jetzt zirpte die Türklingel. Die Rechnungsrätin blieb unsichtbar (vielleicht konnte sie durch irgend einen Spalt sehen?), aber der Schritt des Mädchens war draußen zu hören. Melzer trat hinaus. Thea füllte das ganze Vorzimmer aus (sanfteste, aber übermächtige Explosion von Milch und Blut), wenngleich sie bescheidentlich hinter der Pichler sich hielt, irgendetwas Längliches, in Papier Eingeschlagenes behutsam tragend … Ihre Gestalt schien dem Major sehr hoch und langbeinig; das Kleid war von einem dunklen, aber doch bunten Stoffe, ein tiefes Violett; dieser Stoff schien nicht leicht, sondern eher schwer, und fiel über der Rokitzer beträchtlichen Busen daher nicht ohne eine gewisse Spannung. Melzer begrüßte Paula mit Herzlichkeit, ja mit wirklicher Ergebenheit und behielt ihre Hand durch mehrere Augenblicke in der seinen. »Jetzt kannst du deine Roulad' dem Herrn Major überreichen«, sagte die Pichler und zog ohne Umstände das lange Ding in Papier behutsam unter Theas Arm hervor. »Das hat sie für den Herrn Major gebacken, in meiner Küche«, setzte sie erklärend hinzu und fragte, ob vielleicht eine Schüssel von dieser Länge und Form vorhanden sei? Freilich! – und weil das Mädchen eben mit dem Kaffee eingetreten war, wurde ihr das Paket übergeben, und sie bracht' es bald schön angerichtet zurück, eine rechte Pracht von Biskuit und Schokolade (und sicher hatte der Pierrot es mit sachkundigem Auge angesehen). Melzer, während er sich von Herzen bedankte – aus einem Herzen, dem sogar das Lärmen und Pochen vergangen war, es stand, hinter seinen zahlreichen Wänden hervorgekommen, gleichsam bleich und regungslos vor diesen – fühlte sich durch diese Roulade, die da jetzt auf dem Kaffeetisch prangte, gefährdet oder ernst an eine Gefahr gemahnt, in welcher er stand: es schien ihm dieses Werk von Theas zartgliedrigen und rundlichen Händen (sie waren für ihre Körpergröße fast etwas zu klein) durch Augenblicke eine schwer zu deutende aber doch innewohnende Verwandtschaft mit einem Kompliment, einem

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